Entwicklung der Gesetzgebung. (8. 181.) 425
e) die §§. 11—14 im Interesse der Beförderung der allgemeinen Landeskultur (sowie der Schiffahrt)
die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts (§8§. 102, Tl. 1I, Tit. 8) über die Vorflutrechte ma-
teriell erweiterten, indem sie den einzelnen Grundbesitzern und Privaten ausgedehntere Befugnisse
zur Nutzbarmachung ihres Privateigentums, teils den Stauberechtigten, teils andern Grundbesitzern
oder Nutzungsberechtigten (auf Fischerei, Rohrschnitt, Schilf usw.) gegenüber, verliehen, während
d) die an die 8§. 11—14 sich anschließenden §§. 15—34 die formellen, prozessualischen Vorschriften
über das Verfahren zur Realisierung der materiellen Rechtsbestimmungen der §§s. 11—14 aufstellten.
Das Gesetz v. 23. Jan. 1846 betreffend das für Entwässerungsanlagen einzuführende Aufgebots-
und Präklusionsverfahren schloß sich den Bestimmungen der §§. 15—34 des Vorflutgesetzes v. 15. Nov.
1811 über das Verfahren der Regierungen als Ergänzung an und sein Zweck war auf Sicherung
teils gegen Widerspruchsrechte, teils gegen Entschädigungsansprüche privatrechtlicher Natur in
mehrfacher Beziehung gerichtet, und zwar teils gegen solche, welche die Ableitung des Wassers be-
treffen, teils solche, welche mit der Zuleitung desselben zusammenhängen. Das Gesetz v. 11. Mai
1853 (Art. 2) hatte die Entwässerungsgesetzgebung dadurch wesentlich vervollständigt, daß es die Vor-
schriften des dritten Abschnittes des Gesetzes v. 28. Febr. 1843 über die Bildung von Genossen-
schaften zu Bewässerungsanlagen auch auf Genossenschaften zu Entwässerungsanlagen ausdehnte;
jedoch sollten danach Genossenschaften für Drainanlagen nur bei freiwilliger Zustimmung aller Be-
teiligten gebildet werden können.
Das Vorflutgesetz v. 15. Nov. 1811 galt nur in den Landesteilen, in denen das Allgemeine
Landrecht eingeführt ist, in der Rheinprovinz also nur in den Kreisen Essen, Duisburg, Rees und
Mühlheim a. Rh. In den zum Bezirke des Oberlandesgerichts Köln gehörigen Teilen der Rhein-
provinz und in den Hohenzollernschen Landen fehlte es bis dahin an ähnlichen gesetzlichen Vor-
schriften. Die Ausfüllung dieser Lücke der dortigen Gesetzgebung ist durch das Gesetz v. 14. Juni
1859 wegen Verschaffung der Vorflut in den Bezirken des Appellationsgerichtshofes Köln und des
Justizsenates Ehrenbreitstein, sowie in den Hohenzollernschen Landen erfolgt. Dieses Gesetz erteilte
ähnlich wie das Vorflutedikt v. 15. Nov. 1811, wenngleich nach weniger durchgreifenden Prinzipien,
jedem Eigentümer, der sein Grundstück entwässern oder Teiche und Seen ablassen will, in Fällen
des überwiegenden Landeskulturinteresses die Befugnis, zu verlangen, daß ihm gegen vollständige
Entschädigung das Servitutsrecht eingeräumt werde, das Wasser von seinem Boden in offenen Gräben
oder bedeckten Kanälen (Röhren) durch fremde Grundstücke, die sein Grundeigentum von einem
Wasserlaufe oder einem andern Abflußwege trennen, auf seine Kosten abzuleiten oder vorhandene
Gräben und Fließe zu erweitern und zu vertiefen. Zur Feststellung des Entwässerungsplanes und
der Beitragspflicht bei mehreren Interessenten fand ein administratives Verfahren (vor der Bezirks-
regierung, mit dem Rekurs an das landwirtschaftliche Ministerium) statt. Die Entschädigung wurde
gleichfalls von der Regierung festgestellt, gegen deren Entscheidung der Rechtsweg bei dem Gerichte
der belegenen Sache ergriffen werden konnte. Zugleich wurde das Gesetz v. 23. Jan. 1846 betreffend
das Aufgebots= und Präklusionsverfahren für Entwässerungsanlagen auch für die Landesteile, für
welche das Gesetz v. 14. Juni 1859 erlassen ist, anwendbar erklärt.
In Neuvorpommern und Rügen, wo das Vorflutgesetz v. 15. Nov. 1811 gleichfalls keine An-
wendung fand, bestand früher ein Vorflutreglement v. 18. Nov. 1775, an dessen Stelle das Vor-
flutgesetz für Neuvorpommern und Rügen v. 9. Febr. 1867 trat, das sich im wesentlichen den Be-
stimmungen des Vorflutgesetzes v. 15. Nov. 1811 anschloß.
S. 181.
II. Bewässerungsgesetzgebung.! Die Gesetzgebung zur Beförderung der Bewässerung
folgte der über Entwässerung und Vorflut erst viel später nach. Während das Rheinisch-Französische
Zivilgesetzbuch (Buch II, Tit. IV, Kap. 1) unter den Dienstbarkeiten, die aus der Lage der Orte
entstehen, neben der Vorflut (Art. 644) schon des Rechtes auf Benutzung der Privatflüsse zur Be-
wässerung gedenkt, begreift zwar das Allgemeine Landrecht die Nutzungen der Privatflüsse unter den
Gegenständen des Privateigentums (A. L. R., Tl. I, Tit. 9, §§. 225—273), spricht auch (Tl. II,
Tit. 15, §§. 39 ff.) von Eigentümern der Privatflüsse, stellt jedoch nur über einige Nutzungsrechte
bestimmtere Grundsätze auf, ohne darüber zu entscheiden, wem das Recht zur Nutzung des fließen-
den Wassers zustehen soll, enthält dagegen noch keine Andeutung über ein Gebrauchsrecht zu Be-
wässerungen. Die Provinziallandtage von Schlesien und Pommern brachten zuerst (1825 und 1829)
die Notwendigkeit eines allgemeinen Gesetzes zur Sprache, welches der Bewässerung der Grundstücke
in gleicher Weise Schutz angedeihen lasse, wie er der Entwässerung durch das Vorflutgesetz v. 15. Nov.
1811 zuteil geworden war. Der von dem Entwurfe eines Gesetzes „wegen der Einrichtungen zur
Beförderung des Ablaufs und zur Anhaltung und Benutzung der Gewässer“ abgesonderte Gesetz-
entwurf über Benutzung der Privatflüsse zu Bewässerungen wurde den Provinziallandtagen der sechs
östlichen Provinzen und der Provinz Westfalen, und im Jahre 1842 den vereinigten ständischen
Ausschüssen, sodann zur schließlichen Beratung einer Staatsratskommission vorgelegt, worauf das
Gesetz v. 28. Febr. 1843 über die Benutzung der Privatflüsse erging, das für den ganzen damaligen
Umfang der Monarchie mit Ausnahme der Landesteile, die zum Bezirk des Appellationsgerichtshofes
Köln gehören, erlassen worden ist. Nach Beratung durch den Rheinischen Provinziallandtag ist das
1 Lette-v. Rönne, Die Landeskulturgesetzgebung, Bd. II, 2, S. 624.