254 Unterrichtswesen. (8. 134.)
§. 134.
III. Unterrichtsfreiheit.
I. Als der Staat seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts dem Unterrichtswesen
eine ausgedehntere Fürsorge zuzuwenden begann, zeigte sich zugleich das Bestreben, die
Kinder so viel als möglich den öffentlichen Unterrichtsanstalten zuzulenken. Daher ge-
stattete das General-Land-Schulreglement v. 12. Aug. 1763 (§. 15)2 nur wohlhabenden
Eltern, „für ihr Haus und Kinder Privat-Informatores zu halten, jedoch so, daß nicht
anderer Leute Kinder, die noch nicht in höheren Wissenschaften unterrichtet werden können,
von den ordentlichen Schulen zurückgehalten und in dergleichen Privatunterricht hinein-
gezogen werden“. Derselbe Paragraph verbot unter Strafe alle „Winkelschulen“ auf
dem Lande für Flecken und Dörfer, für Amts= und kleine Landstädte. Das gleiche Ver-
bot wurde in dem katholischen Schulreglement für Schlesien v. 3. Nov. 1765 (§. 31 ff.)3
wiederholt." Das Allgemeine Landrecht änderte diese Vorschriften, indem es einerseits
den Privatunterricht von dem bisherigen Nachweise der Befähigung abhängig machte und
der Staatsaufsicht unterwarf, andererseits das unbedingte Verbot der Winkelschulen auf
dem Lande aufhob und nur forderte, daß dazu die Erlaubnis eingeholt werde.* In
der Folge wurde jedoch hieraus die Notwendigkeit einer förmlichen Konzession für Privat-
schulen überhaupt entnommen. Erst die Verfassungsurkunde hat vorbehaltlich des Nach-
weises der Befähigung und der staatlichen Beaufsichtigung neben dem gewöhnlichen Privat-
unterricht auch die Anlegung von Privatschulen freigegeben. Art. 22 der Verfassungs-
urkunde bestimmt, daß „AUnterricht zu erteilen und Unterrichtsanstalten zu gründen und
zu leiten jedem freisteht, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Be-
fähigung den betreffenden Staatsbehörden nachgewiesen hat“. 5 Art. 23 der Verfassungs-
1 Anschütz, Verf. Urk., Bd. I, S. 390fff.;
Dirksen, Art. Privatunterricht in v. Stengel-
Fleischmanns W. St. V. R. 2, Bd. III, S. 192.
2 Mylius, JN. C. C., Teil III, S. 265;
Rabes Samml., Bd. I, 2, S. 557.
s Vgl. v. Rönne, Unterrichtswesen, Bd. I,
S. 131 ff.
4 Diese Vorschriften wurden durch das Restkr.
v. 22. Nov. 1790 (Mylius, N. C. C., Teil VIII,
S. 2985, Rabes Samml., Bd. II, S. 55) aufs
neue eingeschärft.
5 A. L. R., II, 12, §§. 3—8.
5* Der Verf. Entw. der Staatsregierung v.
20. Mai 1848 (§. 13) bestimmte nur: „Die Frei-
heit des Unterrichts ist nur den in den Gesetzen
bestimmten Beschränkungen unterworfen“. Dies
erklärte die Verf. Komm. der Nat. Vers. für unzu-
reichend und stellte (Art. 22 ihres Entw.) folgende
Bestimmungen auf: „Unterricht zu erteilen und
Unterrichtsanstalten zu gründen, steht Jedem frei.
Vorbengende, beengende Maßregeln sind unter-
sagt.“ Denn eine Berechtigung des Staates, die
Qualifikation der Privatlehrer von seiner Prü-
fung und Genehmigung abhängig zu machen,
könne nicht auerkannt, in dem Dasein der öffent-
lichen Schulen sowie in dem eigenen Interesse
derjenigen, welche Kinder dem Privatunterricht
anvertrauen, müsse ein hinreichender Schutz für
die bürgerliche Gesellschaft gefunden werden
(Rauer, Protokolle der Verf. Komm. der Nat.
Vers., S. 110, 124 u. 105). Die Zentralabteilung
der Nat. Vers. behielt (Art. 22 ihres Entw.) den
ersten Satz des Beschlusses der Verf. Komm. bei,
ließ jedoch den zweiten Satz weg. Die oktroy.
Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 (Art. 19) wählte indes
folgende Fassung: „Unterricht zu erteilen und
Unterrichtsanstalten zu gründen, steht Jedem frei,
wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und tech-
nische Befähigung den betr. Staatsbehörden nach-
gewiesen hat.““ Die amtlichen Erläuter. des Min.
v. Ladenberg hierzu (S. 18—21) bestreiten
nämlich, daß die Freiheit, zu unterrichten, ein
Grundrecht eines jeden Staatsbürgers sei,
nehmen vielmehr an, daß Unterricht und Erziehung
fremder Kinder ein abgeleitetes, von den
Eltern oder Vormündern auf den Lehrer über-
tragenes Recht sei, da selbst das Erziehungs-
recht der Eltern und Vormünder kein unbe-
schränktes sei (vgl. A. L. R., II, 2, 8§. 255 ff.;
II, 18, §. 135, Rhein. Strafgesetzb., Art. 28,
Rhein. Zivilgesetzb., Art. 444). Deshalb könne
keine unbedingte Gewährleistung dieses Rechtes
in der Verf. Urk. gefordert werden. Uberdies wider-
streite die unbedingte Freigebung des Privatunter-
richts dem Rechte des Staates, von allen seinen
Angehörigen die genügende Volksbildung zu for-
dern (Art. 21, Abs. 2 der Verf. Urk.), und der ent-
sprechenden Pflicht des Staates zur Sorge für die
hierzu erforderlichen Anstalten (Art. 21, Abs. 1),
woraus das Recht des Staates folge, die Benutzung
dieser öffentl. Anstalten als Regel anerkannt, nicht
aber durch unbeschränkte Freigabe des Privatunter-
richts die Bildung seiner Angehörigen einem mög-
licherweise ungenügenden und selbst seinem Bestehen
feindlichen Erfolge überlassen zu sehen. Hieraus
folge das Recht des Staates, von jedem Lehrer,
dessen Unterricht die Bildung der Staatsange-
hörigen anvertraut werden solle, den Nachweis