Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

Organisation und Beaufsichtigung. 
G. 137.) 269 
kirchliche Aufsicht über die öffentliche Volksschule ausdrücklich auszuschließen, da eine 
solche bis jetzt gesetzlich nicht bestanden habe, 
wohl aber der Kirche das Aussichtsrecht 
über den auch in der Volksschule zu erteilenden Religionsunterricht stets unbezweifelt 
zugestanden habe. 1 
des Art. 24 festgesetzt, 
Unterricht in der Volksschule leiten“.2 
Mit Rücksicht hierauf hat die Verfassungsurkunde im zweiten Absatze 
daß „die betreffenden Religionsgesellschaften den religiösen 
  
  
1 Die Aufsicht über den Religionsunter- 
richt in der Schule ist der Kirche niemals be- 
stritten worden. Abgesehen indes hiervon und 
von der in einzelnen Gegenden wohl in Anspruch 
genommenen, von der andern Seite aber bestrittenen 
bischöflichen Aufsicht über römisch-katholische 
Schulen überhaupt sind die Schulen im preuß. 
Staate schon nach der bisherigen Gesetzgebung 
Staatsanstalten gewesen und es hat eine 
selbständige Aufsicht der Kirche über die- 
selben nicht stattgefunden. 
bisher sein nächstes Aufsichtsrecht über die Schulen 
auch kirchlichen Organen, nämlich den Super- 
intendenten, Erzpriestern und Dechanten, über- 
tragen: diese sind jedoch in dieser Eigenschaft 
Organe nicht der Kirche, sondern des Staates, 
welcher durch diese Maßregel nur die Notwendig- 
keit anerkannt und seine Bereitwilligkeit an den 
Tag gelegt hat, dem religiösen Leben, wie es sich 
in der Kirche ausgebildet hat, einen wohltätigen 
Einfluß auf die Volksschule im ganzen zu ge- 
statten. (Vgl. die amtl. Erläuter. des Min. 
v. Ladenberg, S. 28—29 und seine Bemer- 
kungen in den Stenogr. Ber. der 2. K. 1849—50, 
Bd. III, S. 1233, und der 1. K., Bd. III, S. 1054 
—1055.) 
2 Weder der Entwurf der Verf. Urk. v. 20. Mai 
1848 noch der Entw. der Verf. Komm. der Nat. 
Vers. enthielt eine diesem Satze entsprechende Be- 
stimmung. Erst der Zentralausschuß der Nat. 
Vers. griff den Punkt auf; derselbe hatte (im 
Art. 23 seines Verf. Entw.) vorgeschlagen, zu 
bestimmen: „Den religiösen Unterricht in der 
Volksschule besorgen und überwachen die betreffen- 
den Religionsgesellschaften.“ Diesen Satz nahm 
dann die oktroy. Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 als 
Art. 21, Abs. 2 auf. Bei der Revision der letzteren 
wurde indes beschlossen, statt der Worte: „be- 
sorgen und überwachen“ zu setzen: „leiten“ (vgl. 
das nähere bei v. Rönne, Verf. Urk., S. 54— 
57, und in der Rede des Staatsmin. Falk v. 
24. Jan.1877 in den Stenogr. Ber. des A. H. 1877, 
Bd. I, S. 84—85). Diese Fassung hatte auch 
der Min. d. geistl. Ang. (v. Ladenberg) befür- 
wortet, indem er bemerkte, daß die (in dem Art. 21, 
Abs. 2 der oktroy. Verf. v. 5. Dez. 1848 gebrauchten) 
Ausdrücke „besorgen und überwachen“ sehr viel- 
deutig seien, während die „Leitung“ alles in sich 
schließe, was in dieser Beziehung von den Reli- 
gionsgesellschaften gewünscht werden könne, indem 
sie sowohl befugt seien, die Oberleitung zu er- 
wählen, als auch unter Umständen diese Leitung 
auf ein eigenes Besorgen auszudehnen; letzterer 
Fall werde in der Regel eintreten, da in den 
Schulen, welche bereits als konfessionelle beständen 
(was die Mehrzahl sei) der Lehrer immer der- 
jenige sein werde, der den Unterricht besorge 
(Stenogr. Ber. der 2. K. 1849—50, Bd. III, S. 
1233). In den amtl. Erläuter, des Min. v. Laden- 
berg aber heißt es: „Aus dem Ausdrucke „be- 
sorgen“ darf keineswegs einseitig gefolgert werden, 
daß den Lehrern der öffentl. Schulen der Reli- 
gionsunterricht auch ihrer Konfessionsverwandten, 
und damit eins der auf die gesamte Jugendbildung 
einflußreichsten Unterrichtsfächer entzogen werden 
könnte. Der Staat muß dann, wenn er den Reli- 
gionsgesellschaften die Besorgung oder Organi- 
sation und die Beaufsichtigung des Religions-= 
unterrichtes in der öffentlichen Volksschule über- 
Der Staat hat zwar 
  
  
läßt, und noch mehr, wenn den Gemeinden die 
Wahl der Lehrer freisteht, wobei auch deren reli- 
giöse Richtung und Befähigung zum Religions- 
unterrichte berücksichtigt werden könne, auch vor- 
aussetzen, daß der unter diesen Verhältnissen und 
von diesem Lehrer erteilte Religionsunterricht der 
betreffenden Religionsgesellschaft genüge. Nur 
dann, wenn Religionsgesellschaften, welche in 
einer Schule die Minderheit bilden, ihre Kinder 
nicht dem Religionsunterrichte eines Lehrers 
anderer Konfession anvertrauen wollen, wird der 
Fall eintreten, daß diese durch übertragung an 
ein anderes geeignetes und gqualifiziertes Indivi- 
duum für die Erteilung des Religionsunterrichtes 
zu sorgen haben. Die näheren Bestimmungen 
über diese Ausnahmefälle werden aber in dem 
Unterrichtsgesetze zu treffen sein.“ Bei der Re- 
vision des in Rede stehenden Satzes der oktroy. 
Verf. Urk. erklärte der Bericht des Zentralaussch. 
der 1. K. (Stenogr. Ber. der 1. K. 1849, S. 1959), 
daß die Fassung undeutlich erscheine, indem es 
ungewiß sei, wer die Organe seien, welche an 
der Leitung teilnehmen sollen, und weil die 
Fassung den Religionsgesellschaften die Leitung 
des Religionsunterrichtes nicht ganz gebe und 
ihnen anscheinend einen Teil an der ganzen Rege- 
lung des Unterrichtes gebe, was in das von der 
Verfassung angenommene System nicht passe. — 
Der Min. Falk hat dann (in der oben gedachten 
Rede v. 24. Jan. 1877) aus den vorstehenden 
Erklärungen und den Verhandlungen beider 
Kammern dargelegt, daß über die Bedeutung des 
„Leitens“ keine Klarheit bei den damaligen Fak- 
toren bestanden habe, und daß man eben nur 
einen abstrakten Satz habe aufstellen wollen, der 
sein Leben erst durch das zu eerlassende Unter- 
richtsgesetz bekommen sollte. lbrigens hob der 
Min. Falk (vgl. Stenogr. Ber. des A. H. 1877, 
Bd. 1I, S. 83, Spalte 2) hierbei auch mit Recht 
hervor, daß der Art. 24 der Verf. Urk. — mit 
Rücksicht auf die Art. 26 u. 112 — nicht aktnel- 
les Recht sei, und in dem Min. Erl. v. 18. Febr. 
1876 (M. Bl. d. i. Verw. 1876, S. 68 ff.) wird in 
dieser Beziehung (unter Ziffer 7) bemerkt, daß die 
Leitung des Religionsunterrichtes nach Art. 24 
der Verf. Urk. den Religionsgesellschaften zustehen. 
solle, daß jedoch einerseits dieser Artikel erst der 
näheren Bestimmung seines Inhaltes durch das 
nach Art. 26 zu erlassende Unterrichtsgesetz be- 
 
	        
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