Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

Organisation und Beaufsichtigung. 
C. 137.) 273 
Die Bestimmung! des ersten Satzes des Art. 24 ist aber auch dahin aufgefaßt 
worden, daß sie den Zweck habe, den Grundsatz auszusprechen, daß in der Regel der 
Einrichtung von Konfessions schulen der Vorzug gegeben werden soll, so daß also 
Simultanschulen nur ausnahmsweise da einzurichten seien, wo sie sich nicht vermeiden 
lassen.? 
Es ist bekannt, daß das Schulwesen des Mittelalters als ein Teil und Aus- 
fluß des Lehrberufes der Kirche entstanden ist und daß die Reformation dieses Verhältnis 
zunächst unverändert gelassen hat. Die kirchliche Schule evangelischen wie katholischen 
Bekenntnisses beruht auf den vier Merkmalen, a) daß der Religionsunterricht ihr Haupt- 
gegenstand ist, b) daß alle Lehrgegenstände, auch außer dem Religionsunterrichte den 
höchsten Religionswahrheiten und dem Erziehungszwecke der kirchlichen Lehre untergeordnet 
  
geändert, daß die Religionsgesellschaften den reli- 
giösen Unterricht „leiten" sollen. Die Staats- 
regierung erklärte sich im wesentlichen aus den 
oben im Texte angegebenen Gründen für die 
Ansicht, daß der Religionsunterricht den Volks- 
schulen nicht entzogen werden dürfe. Die amtl. 
Erläuter, des Min. d. geistl. Ang. v. Ladenberg 
(S. 29—31) entwickeln dies näher. Sie zeigen 
die praktische Unausführbarkeit der Erteilung des 
genügenden Religionsunterrichts außerhalb der 
Schule durch die Geistlichen der betr. Religions- 
gesellschaften, indem dies schon wegen der Ent- 
fernung vieler Gemeinden vom Wohnorte der 
Geistlichen und wegen der anderweitigen Berufs- 
geschäfte der letztern unmöglich sei. Sie ent- 
wickeln ferner die Nachteile der Aussonderung 
des Religionsunterrichts für die Gestaltung des 
Volksschulwesens in äußerer und innerer Be- 
ziehung. In ersterer Hinsicht zeigen sie die enge 
Verbindung, in welcher die zum großen Teil von 
der Kirche ausgegangene Volksschule mit dieser 
und den kirchlichen Mitteln steht, die ihr infolge 
der Trennung entzogen werden würden; dies 
würde aber ihr gedeihliches Fortbestehen gefähr- 
den. Die weitere Folge werde das Entstehen 
eigener Religionsschulen als Konkurrenz= 
schulen gegen die religiös-indifferenten Gemeinde- 
schulen, und damit ein gefährlicher Kampf sein. 
Abgesehen von diesen Gründen widerspreche aber 
die Trennung auch der Sitte, Gewohnheit und 
Anschauung des deutschen Volkes, wonach die 
Volksschule nicht bloß eine Summe von tech- 
nischen Fertigkeiten und Kenntnissen den Kindern 
beizubringen bestimmt sei, sondern gleichzeitig 
Geist, Herz und Charakter zu bilden habe. — Die 
Rev. Komm. der 2. K. hat sich über die Frage in 
ähnlicher Weise geäußert (vgl. Stenogr. Ber. der 
2. K. 1849—50, Bd. III, S. 1197). Vgl. die 
Verhandl. darüber in der Sitz. der 1. K. v. 6. Okt. 
1849 in den Stenogr. Ber. 1849—50, Bd. III, 
S. 1058 ff., und in der Sitz. der 2. K. v. 19. Nov. 
1849 in den Stenogr. Ber. 1849 —50, Bd. III, 
S. 1232 ff. 
1 Die nachstehenden Ausführungen v. Rönnes 
sind, obwohl sie durch die neuere Entwicklung 
überholt sind, wegen ihrer prinzipiellen Bedeu- 
tung inhaltlich unverändert wiedergegeben. 
2 Der Min. d. geistl. Ang. v. Ladenberg 
hat sich zugunsten der konfessionellen 
Schulen ausgesprochen, indem er darauf hinwies, 
daß dieselben nach der Ansicht tüchtiger Techniker 
vom Standpunkte des Unterrichts aus den Vorzug 
vor Simultanschulen verdienten, was auf dem 
kirchlichen Gebiete unzweifelhaft sei. Zugleich 
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht. 
  
  
5. Aufl. III. 
bemerkte er, daß da, wo eine Konfession den 
Charakter einer Schule bestimmt und in der 
Schule meist nur Kinder einer Konfession vor- 
handen sind, eine wesentliche Spaltung der Reli- 
gion wegen vermieden werde, die sonst leicht her- 
vortrete. Uberdies äußere sich der Einfluß des 
religiösen Elementes nicht bloß im Religions- 
unterricht, sondern auch in vielen anderen Unter- 
richtsgegenständen, und es sei schwierig, in Simul-= 
tanschulen die notwendige Scheidung im Unter- 
richt, welche durch das religiöse Element bedingt 
wird, so eintreten zu lassen, daß nicht die eine 
oder die andere Konfession verletzt werde. Der 
Minister erklärte ferner, daß es da, wo die 
Simultanschule unvermeidlich sei, die Aufgabe der 
Regierung sei, wenn einzelne Religionsgesell- 
schaften in Simultanschulen ihren Einfluß in den. 
gesetzlichen Grenzen geltend machen wollen, den- 
selben zu sichern. Er hob noch hervor, daß die 
Regierung, wo es die Verhältnisse gestatteten, den 
Wünschen auf Errichtung von konzfessionellen 
Schulen nicht zu widerstreben habe, weil sonst die 
Kirche sich ihre Schulen selbst schaffen werde, 
wozu sie vermöge der verfassungsmäßigen Unter- 
richtsfreiheit befugt sei, so daß also die schon be- 
stehenden Kirchenschulen als Privatanstalten be- 
stehen bleiben würden, während die Gemeinden 
besondere Schulen zu errichten hätten. Um aber 
den hieraus hervorgehenden Nachteilen vorzu- 
beugen, sei es zweckmäßig, die konfessionellen 
Schulen als solche festzuhalten; denn dann sei es 
möglich, die konfessionellen Schulen der Kirche, 
wenn sie den allgemeinen Anforderungen genügten, 
zugleich als Gemeindeschulen zu konstituieren. 
Ubrigens verwies der Minister in dieser Beziehung 
auf das zu erlassende Unterrichtsgesetz mit dem 
Bemerken, daß Konfessionsschulen nur da gebildet 
werden könnten, wo dies nach der Zahl der Kinder 
möglich sei, weshalb das Unterrichtsgesetz fest- 
stellen werde, wie viele Kinder vorhanden sein 
müssen, um konfessionelle Schulen errichten zu 
können, und wie die Kinderzahl sich gestalten. 
müsse, um die Simultanschule zu begründen. Wo 
aber die Bevölkerung in einer Weise gemischt sei, 
daß eine Konfessionsschule nicht eingerichtet werden 
könne, sei es die Aufgabe des Staates, für den 
religiösen Unterricht der verschiedenen Teile unter 
Mitwirkung der betr. Religionsgesellschaften so zu 
sorgen, daß er nicht vernachlässigt werde (Stenogr. 
Ber. der 2. K. 1849—50, Bd. II, S. 1234, und 
der 1. K., Bd. III, S. 1055 u. 1074). Uber die 
Ansichten des Min. d. geistl. Ang. v. Bethmann- 
Hollweg hierüber vgl. Stenogr. Ber. des A. H. 
1860, Bd. II, S. 880 ff. 
  
  
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