276 Unterrichtswesen. (8. 137.)
der Schulverwaltung ergibt sich eine Schule, in welcher nicht nur die Religion, son-
dern auch die Wissenschaft konfessionell gelehrt, danach des Lehrpersonal konfessionell an-
gestellt und danach auch das Aussichtsrecht gehandhabt werden soll. Eine solche Praxis
steht aber nicht allein mit den Gesetzen des Landes im Widerspruch, sondern auch mit
dem innersten Wesen deutscher Bildung, wie mit den sittlichen und nationalen Zwecken
des Staates der Gegenwart.! Dessenungeachtet gingen die von dem Ministerium der
geistlichen Angelegenheiten der Volksvertretung zur Erfüllung der Verheißung des Art. 26
der Verfassungsurkunde vorgelegten Entwürfe eines Unterrichtsgesetzes von jener reaktio-
nären Praxis der neueren Schulverwaltung aus und wollten dieser die Sanktion des
Gesetzes verliehen wissen. Die Begründung dieser Entwürfe berief sich darauf, daß
den deutschen Volksschulen schon nach ihrer geschichtlichen Entstehung in der Regel ein
bestimmter konfessioneller Charakter innewohne und daß diese Regel in Preußen durch
den ersten Satz des Art. 24 der Verfassungsurkunde ihren besonderen gesetzlichen Aus-
druck gefunden habe. 3 Allein die Berufung auf die geschichtliche Entstehung der Schulen
war nicht zutreffend, weil für das damalige preußische Schulrecht die auf dem Grund-
satze der Erhebung der Unterrichtsanstalten zu „Einrichtungen des Staates“ beruhenden
gesetzlichen Bestimmungen der Schulreglements und des Allgemeinen Landrechtes die allein
maßgebenden geschichtlichen Grundlagen bildeten. Art. 24 der Verfassungsurkunde aber,
welcher zufolge der Bestimmung des Art. 112 (Art. 26) noch nicht in Wirksamkeit ge-
treten war, besagt nur, daß künftig bei Einrichtung der Volksschule die konfessionellen
Verhältnisse „möglichst berücksichtigt" werden sollen, woraus selbstredend nicht ge-
folgert werden kann, daß die Schulen als „Veranstaltungen des Staates“ bereits „Kon-
fessionsschulen“ geworden sind.
Die Entwicklung hat nunmehr ihren gesetzgeberischen Abschluß gefunden durch das jene
Verwaltungspraxis sanktionierende Volksschulunterhaltungsgesetz v. 28. Juli 1906. Es regelt,
obwohl sein Titel nicht darauf schließen läßt, auch die Frage der konfessionellen Verhältnisse der
1 Vgl. die nähere Darlegung in der höchst 1869—70, Nr. 75 und in den Stenogr. Ber.
beachtenswerten Schrift: Gneist, Die konfessio- desselben 1869—70, Anl. Bd. I, Nr. 75, S.
nelle Schule, ihre Unzulässigkeit nach preußischen 408 ff.; v. Bremen, Volksschulunterhaltungs-
Landesgesetzen und die Notwendigkeit eines Ver- 1 gesetz, S. 83 ff.; ders., Die Preuß. Volksschule,
waltungsgerichtshofes (Berlin, 1869). Vgl. auch S. 9ff.; Anschütz, Verf. Urk., S. 443 ff.
das Votum des Abgeordn. Gneist in den Stenogr. 3 Die Begründung beruft sich in dieser Be-
Ber. des A. H. 1879—80, Anl. Bd. II, Aktenst. ziehung außerdem auch noch auf die oben S. 276,
Nr. 71, S. 1235 ff., im Sonderdruck erschienen Note 1 erwähnte Kab. O. v. 4. Okt. 1821. Diese
unter dem Titel: „Die Simultanschule“, 1880. kann jedoch nichts entscheiden, weil sie nicht in
Gegen die Auffassung Gneists die Inaugural= gesetzlicher Form publiziert ist, sondern lediglich
dissertation von F. Claisen, De schola con- ein Internum der Verwaltung des Unterrichts-
fessionale jure Borussica probata (Bonn, ministeriums betrifft.
1879). — Vgl. über die Frage den Ber. der Der Min. d. geistl. Ang. v. Ladenberg
Komm. des A. H. für das Unterrichtswesen v. erläuterte bei der Revision der Verf. Urk. das im
10. Dez. 1879 (betr. die Petition des Magistrats Art. 24 gebrauchte Wort „möglichst“ ausdrücklich
und der Stadtverordneten zu Elbing) in den dahin, daß dasselbe zwei Beschränkungen aus-
Stenogr. Ber. des A. H. 1879—80, Anl. Bd. II, drücke, nämlich die eine: „soweit es die Rechte
Aktenst. Nr. 71, S. 1221 ff. und die Verhandl. des Staates und die Ansprüche gestatten, welche
darüber in den Sitz. des A. H. v. 17. u. 18. Dez. er an die Konfessionsschule zu machen hat, wenn
1879 (Stenogr. Ber. 1879—80, Bd. I, S. 661 sie an die Stelle der öffentlichen treten soll"“,
— 715), ferner Richter-Dove, Kirchenrecht, und die andere: „soweit es nach den Zahlenver-
§. 298: Die Volksschule; Bierling, Die kon- hältnissen möglich ist“; denn an vielen Orten sei
fessionelle Schule in Preußen und ihr Recht, 1885; es unmöglich, die Simultanschulen zu verlassen,
v. Schulte, Gegen die Konfessionsschule, 1912; nämlich da, wo nur wenige Kinder von jeder
Anschütz, Verf. Urk. I. S. 438—447. Konfession vorhanden seien (Stenogr. Ber. der
2 Vgl. die Begründung des im Dez. 1867 1. K. 1849—50, Bd. III, S. 1074).
eingebrachten „Entwurfs eines Gesetzes, betr. die 5 Mit Unrecht behaupiet daher auch der Min.
Einrichtung und Erhaltung der öffentl. Volks= Erl. v. 27. Mai 1868 zu II (M. Bl. d. i. Verw.
schulen“ in den Drucks. des H. H. 1868—69, 1868, S. 205—206), daß der afe Satz des
Nr. 22, und in den Stenogr. Ber. desselben 1868 Art. 24 der Verf. Urk. nur die verfassungsmäßige
—69, B. II, Aktenst. Nr. 22, S. 54 ff. [Motive Garantie für den in Preußen längst bestehenden.
zu den 88. 6—11s; desgl. die Begründung des Rechtszustand enthalte, da es in den älteren
im Nov. 1869 dem A. H. vorgelegten „Entwurfs Landesteilen Preußens grundsätzlich weder kon-
eines Unterrichtsgesetzes“ in den Drucks. des A. H. fessionslose noch Simultanvolksschulen gebe.