Volksschule und Mittelschule. (8. 138.) 283
lichen Seite, so daß auch sie in ausreichender Weise dazu nicht imstande ist. Daraus
ergab sich, wie a. a. O. weiter bemerkt wird, die Notwendigkeit einer zwischen der
eigentlichen Volksschule und der höheren Schule stehenden Schuleinrichtung, die unter
Vermeidung auch des Scheines wissenschaftlichen Betriebes die Kinder in ihrem Lebens-
kreis heimisch macht und sie befähigt, sich in ihrem späteren Lebensberuf zurechtzufinden.
Als solche konnten die Mittelschuleinrichtungen, wie sie durch den oben dargelegten Erlaß
v. 15. Okt. 1872 vorgesehen wurden, nicht mehr ganz gelten. Ihr Lehrplan war für
höchstens sechs aufsteigende Klassen berechnet, und seine Anforderungen nahmen keine aus-
reichende Rücksicht auf das praktische Leben; er vermochte daher nicht mehr den unter-
richtlichen Bedürfnissen der Gegenwart voll zu entsprechen. Hatte doch schon die Ent-
wicklung ganz von selbst dazu geführt, die Mittelschuleinrichtungen tunlichst neunklassig
zu gestalten; so war es allein möglich, daß sie ihren eigentümlichen Aufgaben gerecht
wurden. Auf Grund dieser Erwägungen ist die Einrichtung der Mitttelschulen heute
wie folgt gestaltet worden.
1. Die vollausgestaltete Mittelschule umfaßt neun aufsteigende Jahreskurse, in der
Regel in neun gesonderten Klassen, von denen je drei die Unter-, Mittel= und Ober-
stufe bilden.
2. Die Mittelschule darf sich auf die Volksschule in der Weise aufbauen, daß sie
die Unterstufe mit ihr gemeinsam hat. Befähigten Kindern von Volksschulen, die nach
dem Urteil ihrer Lehrer das Lehrziel der Unterstufe einer Mittelschule gut erreicht haben,
soll gestattet sein, ohne Prüfung versuchsweise in die Mittelstufe (VI. Klasse) einer
Mittelschule überzutreten. Die unterste Klasse der Mittelstufe dient dann dazu, Ver-
schiedenheiten in der Vorbereitung der Kinder auszugleichen. Lehr= und Stundenplan
dieser Klassen nehmen darauf Rücksicht.
3. Die vielfach vorhandenen Mittelschulklassen, die erst nach dem fünften Schul-
jahrgang von Volksschulen sich abzweigen, sind geeignet, eine über die Volksschule hinaus-
gehende Bildung zu vermitteln, wenn sie auch das Ziel einer voll ausgestalteten Mittel-
schule nicht zu erreichen vermögen.
4. Es ist gestattet, Mittelschulen einzurichten, die nur Mittel= und Oberstufe ent-
halten.
5. Ein Zwang, neunstufige Mittelschulen einzurichten oder vorhandene Rektorats-.,
Ober-, Lateinschulen usw. in Mittelschulen umzuwandeln, besteht nicht.
6. In den zu Mittelschuleinrichtungen gehörenden Klassen wird ein Schulgeld?
erhoben, für dessen Höhe die Genehmigung der Regierung einzuholen ist. Um die bessere
Bildung, welche die Mittelschule gewähren will, nicht lediglich von der wirtschaftlichen
Lage der Eltern abhängig sein zu lassen, wird bei jeder Mittelschule eine angemessene
Zahl von Freistellen für solche unterstützungsbedürftigen Kinder festzusetzen sein, die für
den Besuch dieser Schule geeignet sind und sich durch Fleiß und Begabung auszeichnen.
7. Das Mindestalter für den Eintritt in die IX. Klasse einer voll entwickelten
Mittelschule beträgt in der Regel sechs, für den Eintritt in die VI. Klasse neun Jahre.
8. Die Höchstzahl der Schüler (Schülerinnen) in den Klassen der Unter= und
Mittelstufe beträgt 50, der Oberstufe 45.
9. Ist die Kinderzahl gering, so dürfen zwei Jahrgänge zu einer Klasse vereinigt
werden; doch ist dann die Höchstzahl 40 in der Regel nicht zu überschreiten.
10. Die Mittelschuleinrichtungen werden grundsätzlich für Knaben oder Mädchen
getrennt eingerichtet.
11. Wo die erforderliche Zahl von Schülern oder Schülerinnen nicht vorhanden
ist, um nach Geschlechtern getrennte Mittelschulen zu bilden, ist es gestattet, Knaben
und Mädchen zu vereinigen. Auch an Mittelschulen, in denen die Geschlechter grund-
sätzlich getrennt sind, dürfen in einzelnen Klassen Knaben und Mädchen gemeinsam unter-
richtet werden, wenn die Zahl der Schüler oder Schülerinnen einzelner Jahrgänge zur
Bildung getrennter Knaben= oder Mädchenklassen nicht ausreicht.
1 Vgl guch Z. U. 2. 1912, S. 258. 1890, S. 212; Entsch. d. O. V. G., Bd. XII,
„ 39V. 19 i0, S. 919ff. 1891, S. 485. S. 157. -