Nebenanstalten der Volksschule. (8. 144.) 313
Besondere Anstalten bestehen für die Ausbildung von Taubstummenlehrern. Be-
sondere Vereine haben sich für das Wohl der Taubstummen gebildet.
3. Für die jüdischen Schulens gelten in den altpreußischen, d. h. bis zum
Jahre 1866 die preußische Monarchie bildenden Landesteilen die Vorschriften der
§§. 60—67 des Gesetzes v. 23. Juli 1847“ über die Verhältnisse der Juden.5 Diese
Bestimmungen sind folgende:
a) Die schulpflichtigen Kinder der Juden gehören den ordentlichen Elementarschulen
ihres Wohnortes an (8. 60).
b) Die Juden sind schuldig, ihre Kinder zur regelmäßigen Teilnahme an dem Unter-
richt in der Ortsschule während des gesetzlich vorgeschriebenen Alters anzuhalten, sofern
sie nicht vor der Schulbehörde sich ausweisen, daß ihre Kinder anderweitig durch häus-
liche Unterweisung oder durch ordentlichen Besuch einer anderen vorschriftsmäßig ein-
gerichteten öffentlichen oder Privatlehranstalt einen regelmäßigen und genügenden Unter-
richt in den Elementarkenntnissen erhalten (§. 61).
e) Zur Teilnahme an dem christlichen Religionsunterrichte sind die jüdischen Kinder
nicht verpflichtet; eine jede Synagogengemeinde ist aber verbunden, solche Einrichtungen
zu treffen, daß es keinem jüdischen Kinde während des schulpflichtigen Alters an dem
erforderlichen Religionsunterricht fehlt. Als besondere Religionslehrer können nur solche
Personen zugelassen werden, welche zur Ausübung eines Elementarschulamtes vom Staate
die Erlaubnis erhalten haben 6 (§. 62).
d) Zur Unterhaltung der Ortsschulen haben die Juden in gleicher Weise und in
gleichem Verhältnisse wie die christlichen Gemeindeglieder den Gesetzen und bestehenden
Verfassungen gemäß beizutragen (§. 63).
e) Eine Absonderung von den ordentlichen Ortsschulen können die Juden der Regel
nach nicht verlangen; doch ist ihnen gestattet, im eigenen Interesse auf Grund dies-
fälliger Vereinbarungen unter sich mit Genehmigung der Schulbehörden Privatlehr-
Berlin vgl. die Bekanntmachung des Provinzial-
schulkollegiums der Provinz Brandenburg v.
21. Juli 1855 (M. Bl. d. i. Verw. 1855, S. 153);
über die Blindenschule zu Wiesbaden vgl. Königl.
Preuß. Staatsanzeiger, Jahrg. 1866, Nr. 271,
S. 3943. Vgl. auch Rapmund, Art. Blinden-
wesen, Taubstumme, in v. Stengel-Fleischmanns
W. St. V. R.2, Bd. I, S. 493; Bd. III, S. 582.
1 Vgl. hierüber v. Rönne, Unterrichtswesen,
Bd. 1, S. 886 ff., und v. Rönne, Medizinal-
wesen, Bd. II, S. 469—486, Erg. Bd. S. 102;
Saegert, Das Taubstummenbildungswesen in
Preußen (in Meyers Arch. für Landeskunde in
Preußen, Bd. II, S. 237 ff.).
Die dem Provinzialschulkollegium zu Berlin
unterstehende Königl. Taubstummenanstalt zu Ber-
lin, welche die Aufgabe hat, taubstumme Kinder
beiderlei Geschlechtes und ohne Unterschied des
religiösen Bekenntnisses aus dem Gebiete der
ganzen Monarchie durch Unterricht und Erziehung
zu religiös-sittlichen und erwerbsfähigen Mit-
gliedern der bürgerlichen Gesellschaft auszubilden
und in dieser Beziehung den anderen Taub-
stummenanstalten der Monarchie als Musteran-
stalt zu dienen, hat zugleich die Bestimmung,
Lehrer für die Unterweisung und Erziehung taub-
stummer Kinder theoretisch und praktisch auszu-
bilden. (Regl. für die Anstalt v. 4. April 1878,
Z. U. V. 1878, S. 246, Nr. 97, M. Bl. d. i. Verw.
1878, S. 51, Nr. 54.)
Für die Prüfung der Lehrer und Direktoren
von Taubstummenanstalten gilt heute die Prü-
fungsordn. v. 20. Dez. 1911 (Z. U. V. 1912, S. 219).
2 Vgl. über den in Berlin gebildeten Verein
v. Rönne, Unterrichtswesen, Bd. I, S. 889, und
über den Verein für den Unterricht und die Er-
ziehung Taubstummer aus dem Reg.-Bez. Oppeln
in Ratibor das durch Allerh. Erlaß v. 20. Okt.
1879 bestätigte Statut v. 17. Mai 1879 im 3.
U. V. 1880, S. 317, Nr. 63.
* v. Bremen, Schulunterhaltungsgesetz, S.
106 ff.; Freund, Die Rechtsstellung der Juden
im preuß. Volksschulrecht, 1908.
4 Vgl. G. S. 1847, S. 263 (275).
5 Der Min. Erl. v. 5. Juni 1849 unter Nr. 3
(M. Bl. d. i. Verw. 1849, S. 129) hatte nur die
§§. 60, 61 u. 63 des Ges. v. 23. Juni 1857 als
nach Erlaß der Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 ferner
anwendbar bezeichnet. Die Verf. Urk. v. 31. Jan.
1850 hat indes in Art. 24 die möglichste Berück-
sichtigung der konfessionellen Verhältnisse bei der
Schuleinrichtung festgesetzt, so daß hiernach also
auch ferner besondere jüdische Schulen vorhanden
sein werden. Vgl. den Min. Erl. v. 29. Febr.
1860, betr. die Errichtung öffentlicher jüdischer
Schulen (M. Bl. d. i. Verw. 1860, S. 93).
s ber die Qualifikation solcher Lehrer für den
jüdischen Religionsunterricht vgl. den Min. Erl.
v. 19. März 1863 (M. Bl. d. i. Verw. 1863, S.
86), über die Einrichtung besonderen jüdischen
Religionsunterrichts unter Gewährung von Staats-
beihilfen an unvermögende Schulverbände den
Min. Erl. v. 13. Mai 1899 (Z. U. V. 1899, S.
352), sowie den Min. Erl. v. 23. Juni 1909
(Z. U. V. 1909, S. 724).