Begriff und Wesen der höheren Schulen. (8. 145.) 317
höheren Schulen sondert sich nach der geschichtlichen Entwicklung des höheren Schulwesens
in zwei Richtungen, eine gymnasiale und eine reale.
Die Gymnasien sind vorzugsweise und nach ihrer ursprünglichen Bestimmung
die eigentlichen Vorbereitungsanstalten für das Universitätsstudium; sie sind vermöge der
universellen Bedeutung ihrer Mittel zu diesem Zwecke zugleich am meisten geeignet, die
Grundlagen höherer Geistesbildung überhaupt zu gewähren. Die Realschulen haben
überwiegend die Bestimmung, die für den Eintritt in höhere technische Fachschulen er—
forderliche allgemein-wissenschaftliche Vorbereitung zu geben. Die Gymnasialanstalten
zerfallen in Gymnasien und Progymnasien; unter letzteren werden alle diejenigen
öffentlichen Schulen verstanden, welche im wesentlichen den Lehrplan befolgen, welcher für
die unteren und mittleren Klassen der Gymnasien vorgeschrieben ist.1
Die Reallehranstalten zerfallen in Realgymnasien? (früher Realschulen
erster Ordnung), Oberrealschulen (Realschulen von neunjährigem Kursus ohne obli-
gatorischen Unterricht im Latein), Realprogymnasien (höhere Bürgerschulen mit obli-
gatorischem Unterricht im Latein) und Realschulen (früher Realschulen zweiter Ord-
nung).35
An diese Lehranstalten schließen sich die
schulen an. 1
Dazu treten endlich noch die höheren Mädchenschulen: Lyzeen, Oberlyzeen und
Studienanstalten, von denen weiter unten die Rede sein wird.“
Wie sich an das Gymnasium zur Vollendung der allgemeinen und zur Begründung
der besonderen Berufsbildung die technischen Hochschulen anschließen, so bestehen für
einzelne Zweige des gewerblichen Lebens besondere Fachschulen, welche sich, da sie
nicht wie die Universität einen abgeschlossenen Rechtskreis bilden, den höheren Schulen
anreihen.
lateinischen höheren Bürger-
II. Eine gesetzliche Verpflichtung, höhere Schulen zu gründen und zu unterhalten,
ist ebensowenig vorhanden wie ein Zwang, die Kinder und Pflegebefohlenen in die höheren
Schulen zu schicken." Die höheren Schulen werden entweder vom Staate oder von den
Gemeinden oder von anderen öffentlichen Korporationen errichtet und unterhalten. Für
den Besuch sämtlicher höheren Unterrichtsanstalten wird Schulgeld erhoben, welches, ob-
wohl es keine öffentlichrechtliche Gebühr darstellt, doch der Einziehung im Verwaltungs-
zwangsverfahren 3 unterliegt. Zur Errichtung einer höheren Schule ist die Genehmigung
des Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten erforderlich , welche einer
Gemeinde erst dann erteilt wird, wenn zuvor nachgewiesen worden ist, daß für das
Volksschulwesen des Ortes ausreichend gesorgt ist und daß dieses durch die für eine
höhere Schule nötigen Aufwendungen in keiner Weise beeinträchtigt wird. Abgesehen
1 Die Progymnasien sind in den Provinzen
Westfalen und Rheinprovinz, wie die Rektorats-
schulen, in mehreren Städten zum Teil Reste alter
Klosterschulen, wo ehemals die Schüler auch bis
zu den Universitätsstudien geführt wurden. Die
Progymnasien sind jetzt gymnasiale Lehranstalten,
welchen die Obersekunda und Prima fehlt; ihr
Lehrplan ist dem der Gymnasien in den ent-
sprechenden Klassen identisch; ihr Lehrziel bildet
die Reife für die Oll eines Gymnasiums.
2 Wiese a. a. O., Bd. III, S. 18. Eine
Verbindung von Gymnasium und Realgymnasium
stellt das sog. Reformgymnasium dar, wel-
ches die unteren Klassen für die gymnasiale und
die realgymnasiale Ausbildung gemeinsam hat,
um die Entscheidung für die eine oder die andere
Richtung hinauszuschieben.
3 Vgl. den Min. Erl. v. 29. Mai 1901 betr.
die Einführung der revidierten Lehrpläne für die
höheren Schulen (Z. U. V. 1901, S. 471 ff.,
Nr. 3).
4 Für diese ist jetzt der allgemein innezuhaltende
Lehrplan aufgestellt worden, welchen der Min.
Erl. v. 29. Mai 1901 (3. U. V. S. 471 ff.) mit-
geteilt hat.
5 Über die Einrichtung der mit den höheren
Lehranstalten verbundenen Vorschulen pdgl. den
Min. Erl. v. 23. April 1883 (Z. U. V. 1883,
S. 423, Nr. 86; M. Bl. d. i. Verw. 1883, S. 84,
Nr. 62).
6 Auch die Lehrer= und Lehrerinnenseminare
zählen zu den höheren Schulen.
Doch kann der allgemeinen Schulpflicht auch
durch den Besuch einer höheren Schule genügt
werden.
§ Kab. O. v. 19. Juni 1836. Der Rechtsweg
steht offen (Ges. v. 24. Mai 1861; G. S. 1861,
S. 241).
" A. L. R. II, 12, §. 2. Vgl. Min. Erl. v.
25. März 1871 (3. U. V. 1871, S. 218, Nr. 81;
M. Bl. d. i. Verw. 1871, S. 199).