18 Zweiter Abschnitt. (F. 4.)
Das Recht, Märkte abzuhalten, konnte ein Ort nur durch königliches Privileg er-
werben. Dieses schuf in ihm für die Zeit des Marktes ganz besondere Rechtsverhältnisse.
Es galt in ihm ein besonderer Marktfriede, dessen Verletzung durch den Königsbann
geschützt war. Es galt völlige Exemption von der ordentlichen Gerichtsbarkeit. In Markt-
sachen richtete der König selbst durch seine Beamten, den Grafen und den Schultheißen.
Die Marktgerichte waren königliche. Später wurde einzelnen Orten das Recht erteilt,
nicht nur zu gewissen Zeiten, sondern ständig Märkte abzuhalten.& Damit gingen auch
die ebenerwähnten Marktprivilegien dauernd auf sie über. Diese Orte bildeten natur-
gemäß den Vereinigungspunkt alles Handels und Verkehrs, Kaufleute und Handwerker
siedelten sich hier an, große Reichtümer wurden hier aufgesammelt. Dies veranlaßte
die strengere Abgrenzung der Marktortschaften gegen das platte Land durch umfangreiche
Befestigungen, die Errichtung dauernder Grafen= und Schultheißengerichte, die Gewinnung
immer neuer Privilegien und Freiheiten. So haben sich allmählich aus den ständigen
Märkten die Städte entwickelt. Sie verdanken ihre Entstehung dem Marktprivileg,
welches ursprünglich nur vom Könige erteilt werden konnte. Später haben dann auch
geistliche und weltliche Große mit oder ohne besondere königliche Ermächtigung ihrerseits
Märkte und Städte errichtet. In der älteren Zeit wurden Ansiedelungen, die ganz all-
mählich und unvermerkt zu ansehnlichen Erscheinungen herangewachsen waren, zu Städten
erhoben; so sind die bedeutendsten Städte in dem volkreichen und früh kultivierten Westen
entstanden. Später wurden planmäßig Städte gegründet; so besonders beim Vordringen
der Civilisation in den den Slawen entrissenen, entvölkerten und verödeten Marken.2
Ganz freie Städte gab es ursprünglich nicht, sie waren vielmehr bald vom König, bald
von geistlichen und weltlichen Territorialfürsten oder später gar als Mediatstädte von
einem bloßen Grundherrn abhängig.
Die Verfassungen der einzelnen Städte beruhten auf den verschiedenen Privilegien,
mit welchen sie bewidmet waren. Diese wurden besonders in den älteren und bedeutenderen
Städten durch Satzungen der Bürgerschaft zu förmlichen Stadtrechten ausgebildet, welche
dann wieder, namentlich seit den zahlreichen Neugründungen im 12. und 13. Jahrh.,
an andere Städte übertragen wurden. So haben vornehmlich Verbreitung gefunden:
das Hamburgische Recht im nördlichen Sachsen, das Soester, Dortmunder und Münstersche
in Westfalen, das Kölner im Schwabenland, das Frankfurter und Nürnberger in Franken,
das Lübische in Norddeutschland und das Magdeburgische in Brandenburg, Preußen,
Sachsen, Schlesien und anderen Gegenden. Die mit dem gleichen Rechte bewidmeten
Städte bildeten Gruppen oder Familien, deren Glieder als Mutter-, Tochter-, Schwester-,
Enkel= u. s. w. Städte bezeichnet wurden, je nachdem sie ihr Recht direkt, aus zweiter oder
dritter Hand empfangen hatten.
An der Spitze dieser ältesten städtischen Gemeinden stand der vom Gemeindeherrn
ernannte Stadtschultheiß, welcher unter Mitwirkung eines aus Gemeindegliedern be-
stehenden Schöffenkollegiums die Stadtgerichtsbarkeit ausübte. An einzelnen Orten,
z. B. in Köln und Trier, wurden schon früh dem Schöffenkollegium, welches dann unter
dem Vorsitz eines besonderen Schöffenmeisters tagte, neben den richterlichen, kommunale
Funktionen eingeräumt"“, die Bürgerschaft als solche nahm jedoch an der Verwaltung
der Städte gar nicht oder nur in sehr geringem Umfange teil. Dies änderte sich erst
mit der Entstehung des Rates, der seit dem 12. Jahrh. in den meisten Städten an
Landesteile diesseits des Rheins v. 29. April
1869. Nach derselben kommt die städtische Ver-
fassung nicht nur den eigentlichen Städten zu,
sondern auch denjenigen Gemeinden, welche das
Marktrecht besitzen (Art. 9, I). Diese werden
Märkte mit städtischer Verfassung genannt
(Art. 9, V u. Art. 70).
1 Nach Waitz, VI, S. 451, Anm. 1, rührt
die erste Errichtung eines von Rechts wegen
stäntigen Marktes von Ludwig dem Deutschen her.
AUber die Städtegründung in den Marken
vgl. Zummermann, I, S.o 14 ff.
Siegel, Deutsche Rechtsgeschichte (3. Aufl.,
Berlin 1895), §. 20. Dort auch Litteraturangaben.
* v. Below, Entstehung der Stadtgem., S.
44; Waitg, VII, S. 412; Gierke, I, S. 271,
Anm. 61.
5 Die Bezeichnung „Rat“ kommt nach v.
Below, eod., S. 100, zuerst in einem Privileg
für Medebach in Westfalen 1164 vor. Über
Einzelheiten der Ratsentwickelung sowie zum
Folgenden überhaupt vgl. Schoen, Die Orga-
nisation der städtischen Verwaltung in Preu-
ßen, in Hirths Annalen des Deutschen Reiches,
1891, S. 711 ff., wo weitere Litteratur an-
gegeben ist, und auch Blodig, Selbstverwal-
tung, S. 141 ff.