Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 94.) 337
1) Der Staat hat zunächst darüber zu wachen, daß die Gemeinden die ihnen gezogenen
rechtlichen Schranken nicht überschreiten, daß sie ihre Angelegenheiten nach den Ge-
setzen, namentlich nach den Vorschriften der Gemeindeordnungen verwalten.! Dies
erreicht er durch die Beanstandung gesetz= oder kompetenzwidriger Beschlüsse der kollegia-
lischen Gemeindevorstände, der Gemeindevertretungen und der Gemeindeversammlungen,
welche auf Anweisung des Regierungspräsidenten bezw. des Landrats von dem Gemeinde-
vorsteher oder dem kollegialischen Gemeindevorstande in den oben S. 130, 137 ff. und
196 erörterten Formen und mit den daselbst angegebenen Wirkungen vorzunehmen ist.
2) Der Staat hat aber auch — und dies ist wichtiger — darauf zu halten, daß
die Gemeinde innerhalb ihrer Kompetenz, die Zwecke, um derentwillen sie vorhanden ist,
verwirklicht; er hat dafür zu sorgen, daß die Geschäftsführung der Gemeindebehörden
fortwährend in ordnungsmäßigem Ganze bleibt, und daß bekannt gewordene Störungen
beseitigt werden.? Um dieser Aufgabe genügen zu können, hat der Staat sich besonders
das Recht der allgemeinen Kenntnisnahme und der Einsicht in die Gemeindeverwaltung
vorbehalten: die Aufsichtsbehörden sind befugt, über alle Gegenstände der Gemeinde-
verwaltung Auskunft zu erfordern, die Einsendung aller Akten, insbesondere auch die
der Haushaltsetats und der Gemeinderechnungen zu verlangen, sie sind berechtigt, die
Gemeindeverwaltung von Zeit zu Zeit zu revidieren, namentlich auch Kassenrevisionen
an Ort und Stelle vorzunehmen? und dabei vorgefundene Unordnungen auf Kosten der
Gemeinde durch Kommissare beseitigen zu lassen.“.
Im Irnteresse einer sachgemäßen Gemeindeverwaltung nimmt der Staat für sich
das Recht der Genehmigung gewisser wichtiger Beschlüsse und das Recht der
Bestätigung der ersten Gemeindebeamten in Anspruch. Auf diese Weise beugt
er dem vor, daß die Gemeinde Beschlüsse faßt, die ihr selbst oder dem Staate schädlich
sind, und daß ungeeignete Elemente zu leitenden Stellungen in der Gemeindeverwaltung
gelangen. Durch Disziplinar= und Ordnungsstrafen halten die Aufsichtsbehörden
die Gemeindebeamten zur Erfüllung ihrer Pflichten und zur ordnungsmäßigen Führung
der Verwaltung an. Durch die Zwangsetatisierung endlich können die Aufsichts-
behörden die Gemeinden zur Hergabe derjenigen materiellen Mittel zwingen, welche zur
Erfüllung der ihnen gesetzlich obliegenden Verpflichtungen erforderlich sind.
über die Genehmigung von Gemeindebeschlüssen, die Bestätigung von Gemeinde-
beamten und das Disziplinarverfahren ist an den geeigneten Stellen bereits eingehend
gehandelt worden; hier ist nur noch der Zwangsetatisierung mit einigen Worten zu
gedenken.
Die Zwangsetatisierung besteht darin, daß der Regierungspräsident bezw. der Land-
rat wider den Willen einer Gemeinde die Eintragung einer bestimmten Summe in den
Etat verfügt oder die Zahlung einer bestimmten Summe als außerordentliche Ausgabe
über den Etat hinaus anordnet. Voraussetzung für diesen weitgehenden Eingriff in das
Gemeindebudgetrecht ist, daß die Gemeinde die Einstellung dieser Summe in den Haus-
haltsetat oder die außerordentliche Genehmigung derselben unterläßt oder verweigert, daß
es sich um eine Leistung handelt, welche der Gemeinde gesetzlich obliegt, und daß die
Leistung für die Gemeinde seitens der zuständigen Behörde festgestellt ist.“ Daraus folgt
im einzelnen:
1 St. O. schlesw.-holst., S. 92, Abf. 1.
: So G. O. kurh., §. 93, Z. 1, und schon
deeP St. O. von 1831, §. 139; O. V. G., XXV,
. 49.
* M. Erl. v. 9. April 1842 (V. M. Bl.,
S. 182), v. 18. Aug. 1845 (V. M. Bl., S. 249),
v. 7. Juli 1847 (V. M. Bl., S. 191), v. 4. Aug.
1853 (V. M. Bl., S. 222).
4 M. Erl. v. 20. Aug. 1840 (V. M. Bl.,
S. 343).
5 Die Aussichtsbehörden haben die Gemeinden
besonders zur Erfüllung ihrer Pflichten anzu-
halten, dem leichtsinnigen Schuldenmachen der
Gemeinden und ihrer Säumigkeit in der Be-
friedigung der Gläubiger entgegenzutreten.
Schoen.
Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Aussichts-
behörde nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nur
über die Erfüllung derjenigen Verpflichtungen
der Gemeinden zu wachen hat, welche dem
öffentlichen Rechte angehören, während sie die
Prüfung der Rechtsbeständigkeit und die zwangs-
weise Durchführung solcher Verbindlichkeiten, die
lediglich privatrechtlicher Natur sind, den Ge-
richten überlassen muß. M. Erl. v. 14. März
1863 und v. 7. Okt. 1867 (V. M. Bl., S. 119
u. 334).
* St. O. ö. u. wiesb., §. 78; w., §. 79; rh.,
# 4; schlesw.-holst., §. 82; frkf., §. 81. L. G.
O. ö. u. schlesw.-holst., S. 141; w., §. 50; rh.,
s. 87. Eine einheitliche Regelung hat die
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