Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

338 Zweiter Abschnitt. (8. 94.) 
a) Die Leistung, welche zwangsweise etatisiert werden soll, muß der Gemeinde 
durch ein Staatsgesetz oder wenigstens nach Maßgabe eines Staatsgesetzes durch Ent- 
schließung der hierzu berufenen Behörde auferlegt sein 1, eine freiwillig übernommene 
Leistung ist keine gesetzliche ?; die Leistung muß aber auch dem öffentlichen Rechte 
angehören, in öffentlich-rechtlichen Verhältnissen begründet sein und aus solchen hervor- 
gehen. Die Verpflichtung zur Erfüllung einer vertragsmäßigen, lediglich nach den 
Grundsätzen des Privatrechts zu beurteilenden Leistung kann gegen eine Gemeinde 
nicht durch Zwangsetatisierung festgestellt werden, da die Aufsichtsbehörde allein das 
öffentliche Interesse zu wahren hat.2 
b) Vor der Verfügung der Zwangsetatisierung muß eine Feststellung der Leistung 
durch die zuständige Behörde" stattgefunden haben. Die Feststellung muß zeitlich not- 
wendig der Etatisierung vorangehen und darf mit dieser nicht verbunden werden. 
Dies folgt schon daraus, daß von einer Weigerung oder Unterlassung festgestellter 
Leistungen, welche ja die Voraussetzung der Zwangsetatisierung bildet, nur dann ge- 
sprochen werden kann, wenn den Organen der Gemeinde nach Bekanntmachung der Fest- 
stellung die Möglichkeit einer Entschließung über die ihnen zugemutete Leistung gelassen 
wird. Auch ist eine zeitliche Trennung beider Anordnungen schon deshalb erforderlich, 
damit die Gemeinden in der Lage sind, zunächst gegen die Feststellung die Beschwerde 
zu erheben, durch welche allein die gegen die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der 
festgesetzten Leistungen vorliegenden Bedenken geltend gemacht werden können, und so 
eventuell die Zwangsetatisierung überhaupt abzuhalten.“ 
Gegen die Verfügung der Zwangsetatisierung durch den Regierungspräsidenten steht 
binnen zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte, gegen die Verfügung 
des Landrats binnen gleicher Frist die Klage bei dem Bezirksausschusse offen. Zur An- 
stellung dieser Klage und zur Vertretung der Gemeinde im Prozeß ist naturgemäß der 
Gemeindevorstand berufen. Das Oberverwaltungsgericht hat aber mit Rücksicht darauf, 
daß die Zwangsetatisierungsverfügung unmittelbar in das wichtigste Vorrecht der Ge- 
meindevertretung, in das der Beschlußfassung über die Vermögensverwaltung, Steuer- 
bewilligung und Etatsfeststellung eingreift, auch die Gemeindevertretung als Partei. in 
diesem Verfahren zugelassen und auf Grund des §. 21, Abs. 2 des Zuständigkeitsgesetzes 
  
Zwangsetatisierung, auch für den Bereich der- 
jenigen Gemeindeverfassungsgesetze, welche keine 
Bestimmungen über sie enthalten, durch das 
Zust. G., §§. 19 u. 35, erfahren. 
1 Gleichgültig ist es, ob die gesetzliche Ver- 
pflichtung lediglich und ausschließlich für öffent- 
lich--rechtliche Korporationen (z. B. öffentliche 
Armenfürsorge) oder auch für Private, wie 
Deichkosten (O. V. G., VI, S. 192), Fort- 
schreibungsgebühren (O. V. G., XIII, S. 60) 
und äbnliche Leistungen entstehen kann. Wesent- 
lich ist nur, daß zu der für die Gemeinde ver- 
bindlichen Feststellung der Leistung nicht aus- 
schließlich die Gerichte zuständig sind (O. V. G., 
XVI, S. 221), sondern neben denselben oder an 
Stelle derselben eine andere öffentliche Behörde 
(O. V. G., VII, S. 19; XIX, S. 168). 
2 Daher ist die Zwangsetatisierung unzu- 
lässig, wenn es sich darum handelt, Gemeinden 
zur Abführung von Beiträgen, welche sie zu den 
Kosten von Chausseebauten freiwillig über- 
nommen haben, an den Chausseebauunternehmer 
zu nötigen, selbst wenn dieser ein Kreis, also 
eine öffentlich-rechtliche Korporation ist (O. V. G., 
XVI. S. 218). In gedachtem Falle ist es dem 
Kreise oder dem Privatmanne zu überlassen, den 
Streit vor dem Civilrichter zum Austrage zu 
bringen. Über die Unzulässigkeit der Zwangs- 
etatisierung der auf die einzelnen Gemeinden 
eines Hebammenbezirkes entfallenden Beiträge 
  
zum Gehalt der Bezirkshebammen vgl. O. V. G., 
XII, S. 167. 
2 O. V. G., VII, S. 212; XllI, S. 57 u. 61. 
* Zur Feststellung zuständig ist nicht immer 
die Kommunalaussichtsbehörde. In Schulange- 
legenheiten z. B. ist die Schulaufsichtsbehörde zur 
Feststellung der der Gemeinde gesetzlich obliegen- 
den Leistungen befugt, zur Feststellung der bei 
Fortschreibung der Grundbücher und Karten 
erwachsenen Vermessungsgebühren die Regierung 
bezw. der Finanzminister (O. V. G., XlII, 
S. 57), zur Feststellung der für polizeiliche Zwecke 
notwendigen ausg ben die Polizeiaussichtsinstanz 
(O. V. G., XVIII, S. 139; XX. S. 65). 
5 O. V. G., VIII, S. 50; XVI, S. 219; 
XX, S. 66. 
Freilich hindert die Einlegung der Beschwerde 
gegen die Feststellung die Zwangsetatisierung 
nicht; solange die Feststellung nicht durch eine 
auf die Beschwerde ergangene anderweite Ver- 
fügung aufgehoben oder abgeändert ist, stellt 
sich die bezügliche Leistung als eine der Ge- 
meinde gesetzlich obliegende dar. O. V. G., XI, 
S. 47. — Uber Form und Inhalt der Fen- 
stellungsverfügung vgl. M. Erl. v. 30. Dez. 
1890 (V. M. Bl., 1891, S. 6). — Uber das 
Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Fest- 
stellungsverfügung vgl. Freytag, Komm. z. 
L. G. O., S. 307, Anm. 7.
	        
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