438 Bierter Abschnitt. (8. 130.)
Zweites Kapitel.
Das geltende Recht.
Erster Titel.
8. 130.
Die rechtliche Stellung der Provinzialgemeinden.
I. Die Provinzialgemeinden sind die Gemeinden höchster Ordnung, sie um-
fassen mehrere Gemeinden mittlerer Ordnung, mehrere Kreise, und bilden den kommunalen
Zwischenbau zwischen diesen und dem Staatsverbande. Sie sind ebenso wie die Kreise
nicht bloße Verwaltungsbezirke, sondern wirkliche Gemeinden mit eigener korporativer
Verfassung. Gegenwärtig giebt es dreizehn solcher Kommunalverbände höchster Ordnung,
nämlich die zwölf Provinzen: Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pom-
mern, Posen, Schlesien, Sachsen, Schleswig-Holstein, Hannover, West-
falen, Hessen-Nassau, Rheinprovinzs und den Landeskommunalverband vder
Hohenzollernschen Lande.
Die Stadt Berlin kann nicht zu diesen Kommunalverbänden gerechnet werden.
Zwar ist sie in kommunaler wie in administrativer Beziehung aus der Provinz Bran-
denburg ausgeschieden", zwar wird sie in der Gesetzgebung verschiedentlich den Provin-
zialverbänden gleichgestellt: sie hat eine besondere von der der Provinz Branden-
burg abgezweigte Dotation erhalten, ihr sind durch die Dotationsgesetze die gleichen
Verpflichtungen wie den Provinzialverbänden auferlegt 5, sie hat gleich diesen die außer-
ordentliche Armenlast zu tragen — aber sie ist nicht, was man früher beabsichtigte",
selbst zu einer Provinz erhoben. Sie hat keine besondere Organisation behufs Verrich-
tung ihrer provinziellen Aufgaben empfangen. Die Funktionen, welche in den Provinzen
dem Provinziallandtage, dem Provinzialausschusse und dem Landesdirektor zufallen, werden
1 Litteratur: Bornhack, Preuß. Staatsrecht,
II, S. 335—356. — Grotefend, Preuß. Ver-
waltungsrecht, I, S. 695—719. — v. Stengel,
Organisation, S. 286—314. — Derselbe, „Pro-
vinzialverbände in Preußen“, in seinem Wörter-
buch des Verw. R., II, S. 319. — Derselbe,
Preuß. Staatsrecht, in Marquardsens Hdbch.,
Bd. II, Abt. 3 (Freiburg 1894), S. 378—388.—
Löning, Verw. R., S. 211—220.— E. Meier,
Verwaltungsrecht, in v. Holtzendorffs Encyklopädie,
5. Aufl., S. 1206—9. — Schultze, Preuß.
Staatsrecht, I, S. 528—538. — Strutz, Die
Kommunalverbände in Preußen, S. 261—282.
— Blodig, Selbstverwaltung, S. 303—365.
— Den besten Kommentar zur Prov. O. in
ihrer heute geltenden Gestalt giebt v. Brau-
chitsch in seinem Werk, Die neuen preußischen
Verwaltungsgesetze, II (13. Aufl., Berlin 1896).
erner sind zu erwähnen die Kommentare von
ahn (Berlin 1875) und Steinitz (Berlin
1875); endlich Bornhack, Die Kreis= und
Provinzialordnungen des preuß. Staats (Synopt.
Ausg., Berlin 1887).
: v. Stengel, Obßenisetion, S. 286 ff.;
Bornhack, St. R., II, S. 335 ff.; Grote-
fend, I1, S. 695 ff.
2 Die Provinzen sind in der durch Allerh.
Erl. v. 4. Sept. 1869 (V. M. Bl., S. 233)ange-
ordneten offiziellen Reihenfolge aufgezählt. Über
die alten Provinzen vgl. oben S. 431, Anm. 2.
* Aus dem Kommunalverbande der Pro-
vinz Brandenburg wurde Berlin bereits
durch §. 2, Abs. 1 der Prov. O. von 1875 aus-
geschieden. Daselbst war in Abs. 2 die Er-
hebung Berlins zur Provinz durch ein Gesetz
ausdrücklich in Aussicht gestellt. Als jedoch der
Versuch, ein solches Gesetz durchzubringen, im
Abgeordnetenhause zweimal gescheitert war
(Drucks. des A. H. 1875, Nr. 5, und 1876,
Nr. 102), gab man den Plan überhaupt auf
und begnügte sich damit, in §. 1 des Organi-
sationsgesetzes Berlin auch bezüglich der Staats-
verwaltung von der Provinz zu trennen und zu
einem besonderen Verwaltungsbezirk zu machen,
dessen Verhältnisse in den §§. 34—40 des Or-
ganisationsgesetzes geregelt wurden. Diese Vor-
schriften des Organisationsgesetzes sind mit
einigen Abänderungen in das L. V. G., S§. 1
u. 41—47 übergegangen. Der Abs. 2 des §. 2
der Prov. O. wurde durch Art. II, Abs. 3 der
Novelle von 1881 aufgehoben. — Über die Stel-
lung Berlins vgl. v. Stengel, Organisation,
S. 157 u. 351 ff.; derselbe in seinem Wörter-
buch s. v. „Berlin“; E. Meyer, a. a. O., S.
1211 ff.; Bornhack, St. R., II, S. 336; v.
Brauchitsch, II, S. 201, Anm. 7.
* Vxgl. §§. 1—3, 8§8§. 18 ff. des Dot. G. v.
8. Juli 1875. Eine Gleichstellung Berlins mit
den Provinzen findet sich auch in §. 14 des
Ges. v. 12. März 1881, betr. die Ausführung
des Reichsviehseuchengesetzes.