Provinzialgemeinden; das geltende Recht. (F. 130.) 439
in Berlin von der Stadtvertretung und dem Magistrat versehen. Berlin ist zur Zeit
in kommunaler Beziehung noch ein Stadtkreis, der nach der Städteordnung von
1853 verwaltet wird, dessen Wirkungskreis aber in vieler Hinsicht dem der Provinzial=
gemeinden gleichkommt.
Einer besonderen Betrachtung bedarf hier noch die Provinzialgemeinde Hessen-
Nassau, sie weist den anderen Provinzialgemeinden gegenüber die Eigentümlichkeit auf,
daß sie nicht der unmittelbar auf die Kreise folgende nächst höhere Kommunalverband ist.
In Hessen-Nassau sind die beiden älteren kommunalständischen Verbände der Regie-
rungsbezirke Kassel und Wiesbaden, letzterer unter Einverleibung der Stadt Frank-
urt a. M., beibehalten. Es schiebt sich hier also zwischen die Kreis= und Provinzial-
gemeinde die Bezirksgemeinde. Die beiden Bezirksgemeinden, welche die in den
beiden Regierungsbezirken belegenen Kreise umfassen, sind die eigentlichen Glieder der
hessen-nassauischen Provinzialgemeinde, sie wählen die Vertretung derselben und tragen
die Provinzialsteuern.? In diesen beiden Bezirksgemeinden liegt überhaupt der Schwer-
punkt der über die Kreiskompetenzen hinausreichenden Kommunalverwaltung, sie bestimmen
durch ihre Beschlüsse den Wirkungskreis der Provinzialgemeinde I; die Provinz Hessen-
Nassau als Ganzes hat nur wenige kommunale Aufgaben, sie ist vorzüglich staatlicher
Verwaltungsbezirk. Die beiden Bezirksgemeinden wie auch die hessen-nassauische Pro-
vinzialgemeinde sind besonders, wenn auch gleichartig organisiert", und es giebt daher
in Hessen-Nassau einen Provinziallandtag, einen Provinzialausschuß und einen
Landesdirektor für die ganze Provinz, und außerdem noch für die beiden Bezirke je einen
Kommunallandtag, einen Landesausschuß und einen Landesdirektor zu Wiesbaden
und Kassel. Vereinfacht wird dieses komplizierte Verhältnis dadurch, daß der Provin-
ziallandtag durch Vereinigung der beiden Kommunallandtage gebildet wird und daß der
Landesdirektor des Bezirks Kassel zugleich Landesdirektor der Provinz ist.
II. Die Schaffung eines neuen sowie die Aufhebung eines bestehenden Provinzial-
verbandes kann nur durch Gesetz erfolgen, da sie stets mit einer Veränderung der gesetz-
lich festgestellten Grenzen anderer Provinzialverbände verbunden ist.
III. Die rechtliche Stellung der Provinzialgemeinden ist dieselbe wie die der Kreis-
und Ortsgemeinden. „Jede Provinz bildet einen mit den Rechten einer Korporation
ausgestatteten Kommunalverband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten.“ Sie
ist eine juristische Person auf dem Gebiete des öffentlichen wie des privaten Rechtes; in
letzterer Eigenschaft ist sie vermögensfähig, kann vor Gericht klagen und beklagt werden;
sie wird in der unten noch genauer zu erörternden Weise vertreten durch Provinzial-
landtag, Provinzialausschuß und Landesdirektor.
Der persönliche Gerichtsstand der Provinzialverbände in civilprozessualer Hinsicht
wird durch ihren Sitz bestimmt, und als solcher gilt der Ort, wo die Verwaltung ge-
führt wird; dies ist für Brandenburg Berlin, für Sachsen Merseburg, für die
Rheinprovinz Düsseldorf, für Schleswig-Holstein Kiel und für die übrigen Pro-
vinzen der Amtssitz des Oberpräsidenten.' Ebenso ist im Verwaltungsstreitverfahren für
1 Einführungsges. der Prov. O. in Hessen-
Nassau v. 8. Juni 1885, Art. I u. VIII;
Prov. O. bess.-nass., §. 1. Betreffs der früheren
Stellung Frankfurts vgl. oben S. 434, 435;
betreffs der vermögensrechtlichen Regelung in-
folge Einfügung des Stadtkreises Frankfurt in
den Verband Wiesbaden und veränderter Ab-
zenzung der Bezirksverbände Wiesbaden und
assel vgl. Vdgn. v. 10. u. 15. März 1886 (G. S.,
S. 45 u. 47).
2 Prov. O. hesfs.-nass., S. 86, Z. 1 u. 5.
2 Prov. O. hess.-nass., §. 86, Z. 4, IV; vgl.
auch unten §. 138.
4 Nach Art. IV des Einf. G. der Prov. O.
heff.-nass. und nach §. 97 der letzteren sollte
der 4. u. ö. Abschnitt des II. Teiles dieser Prov. O.
für den Provinzialverband einstweilen
nicht in Kraft treten, ein Provinzialausschuß
und ein Landesdirektor für die ganze Provinz
also nicht bestellt werden. Nachdem jetzt aber,
wie vorbehalten, durch königl. Vdg. v. 16. Dez.
1887 (G. S., S. 487) diese Teile der Prov. O.
auch für den Provinzialverband in Kraft
gesetzt sind, hat auch dieser als solcher eine voll-
ständige und mit den anderen Provinzialver-
bänden übereinstimmende Organisation erhalten.
5 Prov. O., §. 1. (Hier wie im Folgenden
gilt, wenn nichts weiter hinzugefügt ist, das
Citat für alle Prov. Ordugn.) A. u. L. O.
hohenz., S. 49.
"* C. P. O., §§. 19, 23.
7 Die Verwaltung der beiden hessen-nassaui-
schen Bezirksgemeinden wird in Kassel bezw.
Wiesbaden geführt, und hier haben sie auch
ihren persönlichen Gerichtsstand.