Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

82 Zweiter Abschnitt. (§. 20.) 
g. 20. 
2) Die Einwohnergemeinde im besonderen. 
a) Die Einwohner. 1 
I. Einwohner sind alle diejenigen, welche innerhalb des Stadtbezirkes ihren Wohnsitz 
haben. Über den Begriff des Wohnsitzes enthalten die hierher gehörigen Städteordnungen 
nichts, verweisen vielmehr auf die „Bestimmungen der Gesetze“.? Für die Rheinprovinz 
ist ein solches Gesetz unterm 30. Juni 1884 ergangen, welches in Übereinstimmung 
mit dem Reichsgesetze wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung v. 13. Mai 1870 be- 
stimmt, daß als Wohnsitz derjenige Ort anzusehen ist, in welchem jemand eine Wohnung 
unter Umständen inne hat, die auf die Absicht dauernder Beibehaltung einer solchen 
schließen lassen. Im übrigen fehlt es an einer auf alle Fälle passenden Legaldefinition 
des Wohnsitzes. Das Allgemeine Landrecht bietet überhaupt keinen Anhalt. Die Reichs- 
civilprezeßordnung setzt in den §§. 13 ff. den Begriff als bekannt voraus oder will ihn 
aus dem bürgerlichen Rechte entnommen wissen. Die Allgemeine Gerichtsordnung läßt den 
Ort des ständigen Wohnsitzes für den Gerichtsstand maßgebend sein, definiert den Wohn- 
sitz jedoch nicht allgemein, sondern stellt nur einzelne Grundsätze über Erwerb und Verlust 
desselben auf. Sie legt ein besonderes Gewicht auf die Absicht, in welcher die Nieder- 
lassung erfolgt, und giebt Merkmale an, aus denen man auf die entscheidende Absicht 
schließen kann.3 Das obenerwähnte Reichsgesetz v. 13. Mai 1870 giebt zwar eine 
Definition des Wohnsitzes, diese kann jedoch ebensowenig wie der im Unterstützungs- 
wohnsitzgesetz v. G. Juni 1870 entwickelte Wohnsitzbegriff allgemeine Geltung beanspruchen, 
da sie eben nur für den Umfang dieses Gesetzes gegeben ist.“ Auch dadurch hat die 
Definition des Reichsgesetzes von 1870 keine allgemeine Bedeutung erlangt, daß das 
Staatseinkommensteuergesetz v. 24. Juni 1891 und das neue Kommunalabgabengesetz 
v. 14. Juli 1893 sie für sich maßgebend sein lassen.' Es muß daher zur Feststellung 
des Begriffes des Wohnsitzes im allgemeinen auf die in der Rechtswissenschaft und Recht- 
sprechung herrschenden Anschauungen zurückgegriffen werden, nach welchen zur Begrün- 
dung, zum Haben und Beibehalten des Wohnsitzes einmal der Wille gehört, „einen Ort 
zum dauernden Aufenthalt und Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, und außer- 
dem Verwirklichung dieses Willens durch entsprechende That"“. Zwei Momente sind 
also stets erforderlich, ein subjektives: der Wille des Begründenden, und ein objektives: 
eine äußere Handlung; fehlt eines von ihnen, wie z. B. bei Kindern oder unter Kuratel 
stehenden Personen die rechtliche Willensfähigkeit überhaupt, so ist die Begründung eines 
Wohnsitzes nicht möglich. Die Frage aber, wo jemand seinen Wohnsitz, d. h. den 
Mittelpunkt seiner Verhältnisse und Thätigkeit hat, läßt sich nur für den einzelnen Fall 
unter freier Erwägung aller Umstände lösen.“ 
  
1 Leidig, S. 45 ff.; v. Möller, St., S. 19; 
Steffenhagen, §§s. 18— 20; Grotefend, 
§. 237. 
: St. O. ö., wiesb., w., 2 ö Abs. 2; schlesw.= 
bolst. K 4, Abs. 2; frif. Abs. 2. 
A. G. O., Tl. 1, Tit. v 9 9—12. Solche 
Merkmale sind: à) Übernahme eines Amtes im 
Stadtbezirk, welches beständige Gegenwart da- 
selbst erfordert: b) Beginn eines Handels= oder 
Gewerbebetricbes im Stadtbezirk; c) Anschaf- 
fung alles dessen, was zur eingerichteten Wirt- 
schaft gehört: d) Ubernahme einer Pachtung, 
die mit persönlichem Aufenthalt auf dem er- 
pachteten Grundstück verbunden ist. — Abge- 
sehen von diesen konkludenten Handlungen läßt 
die A. G. O. den Wohnsitz noch durch auedrück- 
liche Erklärung gegenüber dem Magistrat, daß 
man den Wotnsitz in der Stadt nehmen wolle, 
  
erwerben, wohin auch eine zu dem ausgespro- 
chenen Zwecke der Niederlassung erfolgte polizei- 
liche Meldung gerechnet werden kann (M. Restkr. 
v. 10. Okt. 1855, V. M. Bl., S. 178). 
4* O. V. G., XIII, 120. 
* Eink. St. G., §. 1, Abs. 1 a, dazu Anw. v. 
5. Aug. 1891, Art. 1; K. A. G., 8. 33, dazu 
Anw. v. 14. Juli 1883, Art. 23. 
* Windscheid, Pand., I, §. 36; Dern- 
burg, Pand., 1, §. 46, und die Quellenstellen 
I. 7, C. de incolis 10, 40: Ubi quis larem 
rerumque ac fortunarum suarum summam 
constituit, unde rursus non sit discessurus, 
si nihil avocet, unde, quum profectus est, 
peregrinari videtur, quo si rediit, peregrinari 
jam desiit; l. 203 D. de v. s. 50, 16; eam 
domum unicuique nostrum debere existimari 
ubi quisque sedes et tabulas haberet, sua-
	        
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