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Auf dieses Motiv deutet die Aeußerung des Kanzlers zu
Mittnacht): „Man dürfe keine Gelegenheit vorübergehen lassen,
den Bundesrat zur Geltung zu bringen; auch gegenüber etwaigen
zentralistischen Neigungen späterer Regierungen, eines liberalen
schwächlichen Ministeriums.“ Das scheint die Lösung des Rätsels
des sonst schwer verständlichen Vorgehens zu sein.
Diese Ueberspannung des föderalistischen Gedankens in der
Erklärung ist befremdlich, denn den verbündeten Regierungen
stehen keine vertragsmäßigen Rechte zu, sondern nur verfassungs-
mäßige, die auf verfassungsmäßigem Wege jederzeit abgeändert
werden können.
Daß man nicht bei allen Regierungen Verständnis für die
Notwendigkeit eines solchen Schrittes gefunden, geht aus v. Mitt-
nachts Erinnerungen?) hervor.
Man hat in den Regierungskreisen nicht zu allen Zeiten in
dem Gedanken eines Reichsministeriums eine die Existenz des
Reichs bedrohende Einrichtung erblickt.
Daß vor Gründung des Norddeutschen Bundes die Herrscher
von Oldenburg und Coburg-Gotha dafür eingetreten sind, wurde
bereits hervorgehoben 9).
Weniger bekannt dürfte sein, daß auch der Minister des
Staates, der formell den Anstoß zu der Erklärung von 1884 ge-
geben hatte, ı870 die Aufnahme von Reichsministerien in die
Reichsverfassung empfohlen hatte.
In einer auf Wunsch seines Königs wahrscheinlich im August
oder September 1870 verfaßten Denkschrift des sächsischen Ministers
ı) v. Mittnacht, Erinnerungen an Bismarck, N. F. 1877— 1889, Stuttgart
u. Berlin 1905, S. 36.
2) Der württembergische Minister erzählt, daß er in einer Unterredung mit
Bismarck bemerkt habe, „daß es immerhin ungewöhnlich sei, den Bundesrat gegen eine
Forderung eines durch die Zeitungen veröffentlichten Parteiprogramms, die im Reichstag
noch gar nicht gestellt worden, in das Feld zu führen“. Bei dieser Unterredung
sagte Bismarck, die Anregung (Sachsens) komme ihm ganz erwünscht und der sächsische
Minister hätte sich noch schärfer ausdrücken dürfen.
3) Vgl. S. 7.