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Eine solche Einrichtung Könnte sich auf dem Wege der
Uebung entwickeln. Sie würde sich einerseits empfehlen, um eine
Einseitigkeit wichtiger Entscheidungen zu verhüten und wichtige
Fragen von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten zu
lassen. Eine solche Sitzung der Staatssekretäre böte aber auch Ge-
legenheit, alle Anwesenden mit den Zielpunkten wichtiger poli-
tischen Aktionen bekannt zu machen.
Es ist nicht bekannt, ob solche Beratungen bei außergewöhn-
lichen Anlässen nicht heute schon abgehalten werden. Jedenfalls
ist nichts hiervon in die Oeffentlichkeit gedrungen.
Es könnten alle Vorteile eines Meinungsaustausches sach-
kundiger Ressortleiter erzielt werden!) ohne die Nachteile einer
Mehrheitsentscheidung eines Kollegiums?).
Denn daran ist festzuhalten, daß die Einrichtung eines Minister-
kollegiums im Reiche vom Uebel wäre.
Es galt als ein liberales Dogma, das in den verschiedenen
Anläufen, die die Einsetzung eines Reichsministeriums erstrebten,
hervortrat, daß nur in einem solchen verantwortlichen Kollegium
eine Garantie der konstitutionellen Rechte erblickt werden könne.
Das ist ein Irrtum, nicht ein „anonymes“ Kollegium, dessen
Mehrheitsbildung man nicht kennt, kann die Garantie einer Verant-
wortlichkeit bieten, sondern eine solche ist nur vorhanden, „für den
einzelnen, der muß mit seiner Person für etwaige Mißgriffe einstehen“,
Daß eine solches Dogma selbst vom liberalen Standpunkte
aus irrig ist, dürfte ein Blick auf den parlamentarischen Musterstaat
England lehren, wo die Entwicklung der neueren Zeit die Tendenz
einer Machtsteigerung des Premierministers°) aufweist.
ı) Etwa wie im Kabinett der Nordamerikanischen Union, vgl. S. 88.
2) Es darf daran erinnert werden, daß auch jetzt schon innerhalb der einzelnen
Reichsämter oder innerhalb einzelner Abteilungen ebenso wie innerhalb der Ministerien
über die Prinzipien eines Gesetzentwurfes oder anderer wichtiger Ressortmaßnahmen
ein kollegialer Meinungsaustausch stattfindet ohne die bindende Mehrheitsentscheidung
eines Kollegiuns.
3) Ueber die Stellung des englischen Premierministers vgl. Anhang I.