Full text: Die Reichsregierung.

— 66 — 
Eine solche Einrichtung Könnte sich auf dem Wege der 
Uebung entwickeln. Sie würde sich einerseits empfehlen, um eine 
Einseitigkeit wichtiger Entscheidungen zu verhüten und wichtige 
Fragen von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten zu 
lassen. Eine solche Sitzung der Staatssekretäre böte aber auch Ge- 
legenheit, alle Anwesenden mit den Zielpunkten wichtiger poli- 
tischen Aktionen bekannt zu machen. 
Es ist nicht bekannt, ob solche Beratungen bei außergewöhn- 
lichen Anlässen nicht heute schon abgehalten werden. Jedenfalls 
ist nichts hiervon in die Oeffentlichkeit gedrungen. 
Es könnten alle Vorteile eines Meinungsaustausches sach- 
kundiger Ressortleiter erzielt werden!) ohne die Nachteile einer 
Mehrheitsentscheidung eines Kollegiums?). 
Denn daran ist festzuhalten, daß die Einrichtung eines Minister- 
kollegiums im Reiche vom Uebel wäre. 
Es galt als ein liberales Dogma, das in den verschiedenen 
Anläufen, die die Einsetzung eines Reichsministeriums erstrebten, 
hervortrat, daß nur in einem solchen verantwortlichen Kollegium 
eine Garantie der konstitutionellen Rechte erblickt werden könne. 
Das ist ein Irrtum, nicht ein „anonymes“ Kollegium, dessen 
Mehrheitsbildung man nicht kennt, kann die Garantie einer Verant- 
wortlichkeit bieten, sondern eine solche ist nur vorhanden, „für den 
einzelnen, der muß mit seiner Person für etwaige Mißgriffe einstehen“, 
Daß eine solches Dogma selbst vom liberalen Standpunkte 
aus irrig ist, dürfte ein Blick auf den parlamentarischen Musterstaat 
England lehren, wo die Entwicklung der neueren Zeit die Tendenz 
einer Machtsteigerung des Premierministers°) aufweist. 
ı) Etwa wie im Kabinett der Nordamerikanischen Union, vgl. S. 88. 
2) Es darf daran erinnert werden, daß auch jetzt schon innerhalb der einzelnen 
Reichsämter oder innerhalb einzelner Abteilungen ebenso wie innerhalb der Ministerien 
über die Prinzipien eines Gesetzentwurfes oder anderer wichtiger Ressortmaßnahmen 
ein kollegialer Meinungsaustausch stattfindet ohne die bindende Mehrheitsentscheidung 
eines Kollegiuns. 
3) Ueber die Stellung des englischen Premierministers vgl. Anhang I.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.