Full text: Die Reichsregierung.

der Exekutive, soweit sie verfassungsmäßig Reichsbehörden zu- 
stand, in allen wichtigen Fragen die alleinige Entscheidung in der 
Hand des Kanzlers lag. Bei Wahrung der Selbständigkeit der 
Amtsführung des Staatssekretärs für den regelmäßigen Gang der 
Geschäfte, etwa in dem Umfang der Ressortverwaltung preußischer 
Fachminister, sollte in den wichtigen Fragen der Reichspolitik, 
ebenso wie in Preußen das Staatsministerium an die Stelle des 
einzelnen Ministers tritt, der Reichskanzler allein die Entscheidung 
treffen. Wenn man diesem Rechtszustand entgegenhielt, daß solche 
Leistung über eines Menschen Kraft ginge, daß sich dann der Be- 
griff der Verantwortlichkeit verflüchtige, so ist das nicht zutreffend. 
Die Verantwortlichkeit des Ministers für die gesamte Ver- 
waltung eines Ressorts ist heute nicht nur für einen Großstaat, 
sondern selbst für ein kleines Staatswesen eine Fiktion, wenn man 
sie wörtlich und nicht dem Sinne nach auffaßt. Kann schon der 
Bürgermeister einer Mittelstadt oder der Direktor einer größeren 
Aktiengesellschaft nicht für den gesamten Inhalt eines jeden von 
ihm unterzeichneten Schriftstückes die Verantwortung tragen, wie 
kann man eine solche dem Minister eines großen Staates für jedes 
Detail im ganzen Umfang des ihm unterstellten Verwaltungsgebiets 
aufbürden. Eine derartige Buchstabenjurisprudenz wird kein Ver- 
ständiger treiben. Es ist unmöglich, so die Augen vor den wirklichen 
Verhältnissen des Lebens und den Möglichkeiten zu verschließen. 
Die Verantwortlichkeit eines Ministers kann sich nur erstrecken 
auf eine culpa in eligendo‘), auf die Auswahl der tüchtigsten und 
geeignetsten Kräfte (Unterstaatssekretäre und Direktoren), für die 
Amtsstellung und für die Hauptlinien der Politik und der Ver- 
waltung des Ressorts. Vor allem aber ist der Minister auch dafür 
verantwortlich, daß Mißstände in dem ihm unterstellten Verwaltungs- 
ı) „Ich halte mich im ganzen immer nur verantwortlich für die im großen 
Durchschnitt richtige Wahl der Person, nicht für jede einzelne Handlung der Personen‘, 
sagt Fürst Bismarck am 25. Januar 1873 im preußischen Abgeordnetenhaus (H. Kohl, 
Die politischen Reden des Fürsten Bismarck, Stuttgart 1893, Bd. V, S. 362).
	        
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