— 7ı _—
Einzelheiten mir die Verantwortung zuzumuten, das wäre sehr ungerecht und wäre
Uebermenschliches von mir verlangt. Sie dürfen deshalb nicht sagen, daß dadurch
ein Teil der Geschäfte gewisser Maßen, weil von mir ungedeckt, von jeder Verant-
wortlichkeit frei wäre, indem derjenige, der es vorbringt, die verfassungsmäßige Ver-
antwortlichkeit nicht zu tragen hat, und derjenige, der sie trägt, sich damit entschuldigt,
daß er sagt: ich kann das Alles unmöglich übersehen, — sondern Sie müssen fragen:
Welche Bürgschaft einer moralischen Verantwortlichkeit haben Sie denn bei jeder
anderen Einrichtung, die nicht auf eine einzelne Person gestellt wäre? Geradezu gar
keine! Wer hat in einem Collegium, welches aus 8 oder Io selbständigen Ministern
besteht, in dem Keiner ohne den Willen des Andern eine irgend erhebliche Bewegung
machen kann, in dem keine Maßregel anders als per majora beschlossen wird, — wer
hat die Verantwortung zu tragen? Wer trägt die Verantwortung der Beschlüsse
einer parlamentarischen Corporation, wie der Reichstag? Offenbar kann sie bei
keinem Einzelnen gesucht werden! — Sie können die Verantwortung nur bei einen:
Individuum suchen, niemals m. Es. bei einem Collegium, wo Jeder berechtigt ist,
sich damit zu entschuldigen, er hätte wohl gewollt, aber die andern nicht, und wo
Keiner weiß, wer der Andere und wer der Eine ist.
Die Art, wie ich nun meine Verantwortlichkeit zu betätigen habe, ist immer
klar zu machen an dem naheliegenden Beispiel des preußischen Ministeriums, dem ich
ja anzugehören die Ehre habe; sie ist im Reiche eine viel wirksamere. Ich kann,
wie gesagt, unmöglich in der Seele eines jeden der höheren Reichsämter stecken, so
daß ich Alles selbst leite,; aber ich kann, durch eigene Beobachtung oder durch die
Presse oder durch den Reichstag darauf aufmerksam gemacht, sehr bald erkennen, ob
irgendwo sich eine Strömung entwickelt, die mit der Richtung, für die ich verant-
wortlich bleiben will, nicht im Einklang steht. ‘Wenn ich nun in der Reichspolitik
die Ueberzeugung gewinne, berechtigt oder irrtümlich, daß Mißbräuche oder fehlerhafte
Richtungen vorhanden sind, dann bin ich berechtigt, verfügend einzugreifen, ich habe
ein Veto gegen diese Richtung. Das habe ich in Preußen nicht; als Ministerpräsident
bin ich nur ein ornamentales Glied, ich habe nur eine geschäftsordnende Leitung, aber
durchaus keine Verfügung; ich kann Jahre lang überzeugt sein, daß einer meiner
Kollegen nicht auf den Wegen ist, für die ich persönlich verantwortlich sein will, ich
kann das aber nicht ändern, außer wenn ich ihn durch Ueberredung, durch Bitten oder
durch Majorität im Staatsministerium dazu bringe, seine Ansicht in dem einzelnen
Falle der meinen unterzuordnen. Aber, was ist gewonnen mit dem einzelnen Fall,
wenn man prinzipiell dauernd divergirt! Ich bin so tatenlustig und geschäftshungrig
nicht, daß ich das Bedürfnis hätte, meinen Geschäftskreis sehr wesentlich zu erweitern,
im Gegenteill Aber ich glaube, daß die Leitung einheitlich nur dann sein kann, die
Verantwortung also auch nur dann getragen werden kann, wenn an der Spitze Jemand
steht, der berechtigt ist, zu verfügen.
Ich würde mir selbst das Geschäft sehr erschweren, wenn ich von dieser Be-
rechtigung einen leichtfertigen und sehr bereitwilligen Gebrauch machen wollte; aber
es genügt sehr oft, daß man eine Waffe hat, und daß dieser Besitz bekannt ist, ohne
daß man in die Notwendigkeit käme, sie zur Anwendung zu bringen. Mit dieser
Einrichtung ist auch m. Es. das Institut selbständiger Reichsministerien, immer
unter: der Leitung eines Premierministers, mit den m. Es. allein constitutionell
möglichen Verantwortlichkeitsgrundsätzen vereinbar, aber da können Reichsministerien