Full text: Die Reichsregierung.

denen ein allgemeines politisches Interesse zukommt, sich nach 
der Willensmeinung des Präsidenten zu richten haben). 
Der Präsident und seine Minister bilden kein Kollegium. Es 
ist eine Gruppe von Departementschefs, von denen jeder dem 
Präsidenten verantwortlich ist. Es ist nicht das Organ einer ge- 
meinsamen Politik mit kollektiver Verantwortlichkeit?), denn die 
Politik der Regierung ist nicht die der Minister, sondern die des 
Präsidenten. Dieser berät sich mit den einzelnen Ministern und 
beruft) sie auch zu gemeinsamen Sitzungen, ohne daß solchen Be- 
ratungen eine erhebliche Bedeutung zukommt‘). 
Die amerikanische administration zeigt also beim Fehlen einer 
kollegialen Verfassung und der unbedingten Abhängigkeit der 
Departementschefs vom Präsidenten eine sehr starke prinzipielle 
Aehnlichkeit mit der Organisation der Reichsregierung, eine 
Aehnlichkeit, die erhöht wird durch das Fehlen der parlamentari- 
schen Regierungsform auch in der Union. 
In einem wichtigen Punkte überragt aber die Stellung der 
Staatssekretäre des Deutschen Reichs die der Kabinettsmitglieder 
der Union, indem nach dem Stellvertretungsgesetze unseren 
Staatssekretären das Recht der Gegenzeichnung unter eigener 
Verantwortlichkeit verliehen ist. 
ı) Vgl. Freund, S. 137, der auf die Erzählung des Expräsidenten Hayes ver- 
weist, daß er verschiedene Angelegenheiten der Finanzpolitik gegen die Ansicht seines 
Schatzsekretärs entschieden habe, und auf die Clevelands, der berichtete, daß er die 
Ausgabe der Bonds 1894 und 1895, die das Gesetz dem Schatzsekretär übertragen 
habe, in seine eigene Hand genommen habe. 
2) Vgl. Bryce, Vol.I p. 87: „In America people usually speaks of the President 
and his ministers as the ‚administration‘, not as the ‚government‘, apparently because 
he and they are not deemed to govern in the European sense“. 
3) Vgl.Bryce, Vol. I p. 90: „They are not a government, as Europeans unter- 
stand the term; they are a group of heads of departments, whose chief, though he 
usually consults them separately, is also glad to bring together in one room for a talk 
about politics.“ 
4) Eine gesetzliche Anerkennung hat das Kabinett als solches nicht gefunden. 
Sitzungen finden in der Regel wöchentlich einmal statt zur Erörterung von Fragen 
von allgemeinem Interesse. Abstimmungen finden selten statt, und der Präsident er- 
achtet sich nicht an dieselben gebunden (Freund, S. 136).
	        
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