Full text: Kriegsbuch. Zweiter Band. (2)

Bekanntmachung zur Entlastung der Gerichte vom 9. September 1915. 507 
Aber kein Grundsatz steht so fest, daß seine Überspannung nicht unerträglich wirken müßte. 
Unerträglich aber ist es, wenn bei geringfügigen Streitwerten der Schuldner, der den An- 
spruch überhaupt nicht bestritten hat oder außerstande gewesen ist, ihn zu befriedigen, 
für seine Notlage mit einer Kostenlast belegt wird, die den Betrag der Streitsumme häufig 
übersteigt. Unerträglich ist es, wenn der kleine Händler, der 10 M. für Nahrungsmittel 
oder Brennstoffe ausgeklagt und Pfändung ausgebracht hat, auf die Widerspruchsklage 
der Ehefrau nicht nur die Pfandstücke freigeben, sondern auch ihre Anwaltskosten bezahlen 
muß. Diese Beispiele, die jeder Praktiker in großer Anzahl bestätigen und vermehren 
kann, führen dahin, dem Gesichtspunkte des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen Kosten- 
pflicht und Kostenhöhe Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es ist nicht angängig, den unter- 
liegenden Teil in denjenigen Fällen haften zu lassen, wo der Kläger mit der Annahme 
eines Anwalts einen ungewöhnlichen und unnötigen Aufwand getrieben hat. 
2. Aus andere Erwägungen. 
aà) Heilberg a. a. O. 1108. Eine augenfällige Flüchtigkeit der Redaktion ist es, 
wenn §19 VO auch den zweiten Satz des § 91 Abs. 2 für schlechthin unanwendbar erklärt. 
A. M. Neumiller a. a. O. 314. Abs. 2 des § 91 ist durch die Beseitigung des Abs. 1 über- 
flüssig geworden. 
b) Lütkemann a. a. O. 13. Es wäre eine Vorschrift angezeigt gewesen, daß eine 
Vertretung der Parteien durch Rechtsanwälte im Güteverfahren nur dann zulässig sei, 
wenn die Partei zuvor glaubhaft gemacht habe, daß sie in der Tat, z. B. wegen hohen 
Alters, Krankheit oder weiter Entfernung behindert sei, persönlich im Termine zu er- 
scheinen. 
Tc) Bendix, JW. 15 1550. Die §8§ 19, 20 sind schon deshalb verfehlt, weil der Streit- 
richter nach seiner Stellung und seinen Aufgaben nicht zugleich Vertrauensmann und 
Interessenvertreter einer oder gar beider Parteien sein kann. Die Aufgabe des Richters, 
Recht zu sprechen verbietet geradezu, auf den Abschluß eines Vergleichs hinzuwirken und 
durch die Einwirkung auf die Parteien den Eindruck der Parteinahme für die eine oder 
andere Seite zu ermöglichen. 
Kaufmann, das., der sich im Ergebnis auch gegen § 19 wendet, hält diese Aufstellungen 
von Bendix für verfehlt. (— und wohl sicher mit Recht —); hiergegen wieder Bendix, 
IJW. 16 31. 
d) Bach, JW. 15 1551. Nicht die richtige, sondern die vorauszusehende falsche An- 
wendung des § 19 wird durch Abschreckung von der Prozeßführung entlastend wirken. Das 
ist rechtspolitisch zu bedauern. 
e) Levin, Gruchots Beitr. 60 27. In formeller Beziehung ist es allerdings kein 
wünschenswerter Zustand, daß der Gerichtsschreiber von Fall zu Fall im Kostenfest- 
setzungsverfahren zu prüfen und zu entscheiden hat, ob die Annahme eines Anwalts zur 
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war. Man kann im allgemeinen die 
Festsetzung der Kosten durch den Gerichtsschreiber für unbedenklich erachten und muß doch 
für die Erstattung der Anwaltsgebühren eine Ausnahme fordern. In der Tat handelt es 
sich bei dieser Frage nicht lediglich um die richtige Berechnung der Gebühren und Auslagen 
nach der Gebührenordnung, sondern um die Entscheidung eines Punktes, die ohne sachliche 
Würdigung des Rechtsstreits nicht erfolgen kann. Ob die Sachlage einfach oder so verwickelt 
war, daß die Annahme der Anwaltshilfe geboten erschien, wird jedenfalls bei dem größten 
Teile der streitigen Prozesse vom Gerichtsschreiber, der den Verlauf der mündlichen Ver- 
handlung nicht kennt, gar nicht übersehen werden können. Ein Urteil darüber hat nur 
der erkennende Richter. So wie die Sache jetzt geregelt ist, wird sich, wenn der Rechts- 
streit nicht ganz einfach liegt, der Anwalt die Absetzung der Gebühren regelmäßig nicht 
gefallen lassen und die Erinnerung einlegen, die die Entscheidung doch an den Richter 
bringt. Zweckmäßig wäre es, zu bestimmen, daß in jenen geringfügigen Sachen die Ver- 
pflichtung der unterliegenden Partei, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, sich auf die 
Erstattung der dem Gegner durch die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder
	        
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