Bekanntmachung zur Entlastung der Strafgerichte v. 7. Oktober 1915. 523
Fälle zu ermöglichen. Nicht die Erweiterung des Strafbefehlverfahrens selbst sollte eine
„Abhilfe gegen wirtschaftliche Schädigungen“ bilden, sondern die VO. vom 4. Juni 1915
war eine (allerdings auf dem Gebiete des Verfahrens liegende) Ergänzung und Verbesse-
rung der einzelnen auf Grund des Ermächt G. ergangenen und ferner ergehenden An-
ordnungen und Strafbestimmungen, so daß also jene Zweckbestimmung der „Abhilfe gegen
wirtschaftliche Schädigungen“ nicht für die V O. vom 4. Juni 1915 in Frage kommt, sondern
für jede einzelne Anordnung, zu der sie die Ergänzung bildet. Zu einer Bestimmung, auch
soweit sie das Verfahren bei den vom Ermächt G. umfaßten Strafvorschriften betrifft,
wird man, wie schon bemerkt, den BR. als ermächtigt ansehen können, so daß also die
Ausdehnung des Strafbefehlverfahrens durch das Ermächt G. gedeckt ist. Aber es war
wohlbegründet, wenn die VO. jene Ausdehnung des Strafbefehlverfahrens ausdrücklich
beschränkt hat auf die „Vergehen gegen Vorschriften, die auf Grund des § 3 ergangen sind
und noch ergehen“.
3. Beling a. a. O. 270. Die VO. ist gültig. Der Strafprozeß ist selber ein Stück
wirtschaftlichen Lebens. Die Handlungen des Strafprozesses bedingen mittelbar, teils
sogar unmittelbar Aufwendung von wirtschaftlichen Werten, vor allem für den Staat
selber, dem die Strafrechtspflege je nach dem aufgewendeten Apparat teurer oder billiger
zu stehen kommt. Der Krieg hat auch besondere Gesichtspunkte (Verminderung des Per-
sonals unter gleichzeitiger Erhöhung der Arbeitslast) gezeitigt, die eine Abänderung des
gegenwärtigen Rechts nützlich erscheinen lassen konnten.
II. Anwendungsgebiet.
1. Verhältnis zu den außerordentlichen Kriegsgerichten.
a) v. Miltner a. a. O. 1412. Gleichwie die VO. vom 9. September 1915 nur
die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit entlasten will, so hat auch die VO. vom 7. Oktober 1915
keine anderen Vergehen im Auge, als die vor die ordentlichen bürgerlichen Strafgerichte
gehörenden. Das Gegenteil ist schon nach dem Ausgangspunkte der VO. nicht zu unter-
stellen. Ist daher für ein Vergehen gegen die in §& 1 angegebenen Vorschriften die
Zuständigkeit eines Kriegsgerichts nach s§ 10 ff. des Preuß. BelzZust G. oder eines stand-
rechtlichen Gerichtes nach Art. 6 des Bayer. Kriegs Zust G. begründet, so bleibt diese un-
berührt. Die BRVO. bezweckt nur, den Umfang des Strafbefehlverfahrens auszudehnen.
Weder sie selbst noch die VO. vom 4. Juni 1915 bietet einen Anhaltspunkt dafür, daß den
außerordentlichen, nur während des Krieges bestehenden Gerichten ein Teil ihrer bisher
innegehabten Zuständigkeit wieder genommen werden solle. Auch in den Reichstags-
verhandlungen (Sten. Ber. über die 20. Sitzung vom 27. August 1915 S. 413 A und B)
war nur davon die Rede, daß in den Fällen, die nun im 2. Abs. des § 1 der VO. vom 7. Okt.
1915 geregelt sind, das Verfahren vor der Strafkammer vermieden werden solle.
b) Mamrotha. a. O. 1231. Ob die Bek. sich auch auf die außerordentlichen Kriegs-
gerichte bezieht, ist zweifelhaft. Richtiger erscheint es, die Frage zu bejahen, weil die Bek.
allgemein von „Strafgerichten“ spricht, ohne eine Ausnahme zu machen.
c) Fleischmann, DJZ. 15 1120. Die Bek. vom 7. Oktober 1915 hat dort keine
Geltung, wo sog. außerordentliche Kriegsgerichte eingesetzt sind. Hierfür sprechen neben
den sonst unvermeidbaren Zuständigkeitsunklarheiten folgende Erwägungen. Die außer-
ordentlichen Kriegsgerichte sind Einrichtungen der Militärgewalt, für deren Schaffen
und Bestehen der Militärbefehlshaber die Verantwortung trägt: so in Preußen nach §F 11
des Ges. von 1851; nicht anderes gilt für Bayern, wo das „Standrecht“ durch den König
angeordnet wird, und bei der näheren Einrichtung der standrechtlichen Gerichte der Prä-
sident des Oberlandesgerichts und der oberste Militärbefehlshaber zusammenwirken. Die
Einsetzung der außerordentlichen Gerichte ist deshalb grundsätzlich nicht als eine Tatsache
zu bewerten, die im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Maßnahmen steht. Infolge-
dessen steht es auch nach dem Stande der gegenwärtigen Gesetzgebung nicht in der Macht
des Bundesrats, in die Einrichtung der außerordentlichen Kriegsgerichte einzugreifen.
Das betrifft natürlich nicht bloß Einsetzung und Bestehen der außerordentlichen Gerichte,