Full text: Kriegsbuch. Fünfter Band. (5)

Geseg betr. Höchstpreise v. 4. Aug. 1914 in d. Fass. d. Bekanntm. v. 17. Dez. 1914. § 6C. 169 
Teil der strafrechtlichen Vorschriflen enthält, weist allein seit Kriegsausbruch etwa 800 Ver- 
ordnungen und Gesetze auf, ungefähr soviel, wie sonst in fünf Jahren veröffentlicht sind. 
-immt man die Verordnungen der Generalkommandos, der Polizeibehörden und der 
Kommunen hinzu, so ergeben sich geradezu phantastische Zahlen der Gesetzesproduktion. 
Kein Berständiger kann ernstlich das Verlangen stellen, daß jedermann alle diese Vorschriften 
kennt oder, daß sie ihm in jedem Augenblick gegenwärtig und zugänglich sind. In der Tat 
wird aber diese Anforderung gestellt, wenn die Gerichte und vor allem das Reichsgericht 
den Sag ausstellen, daß Unkenninis des Strafgesetzes nicht vor Strafe schützt. 
Nach ein zweiter Grund aber macht die Zustände des gellenden Rechts völlig un- 
ertröglich. Kriegsgesetze und Kriegsverordnungen werden oft mit größter Beschleunigung 
ohne genügende Vorbereitung und Vorberatung erlassen. Sie entbehren der eingehenden 
Begründung, die im Frieden fast jedes Gesetz erhält. Es ist daher kein Wunder, wenn die 
Anforderungen der Verordnungen mit den Lebensverhältnissen nicht im Einklang stehen, 
daher zum Widerspruch gegenüber dem Wortlaut herausfordern und den Beleiliglen un- 
verständlich erscheinen; wenn die Verordnungen an inneren Widersprüchen leiden, unklar 
sind und die verschiedenartigsten Auslegungen zulassen. Die Mannigfaltigkeit der Zweifel 
wird aber nach der Ansicht, daß Irrtum über das Strafgeset von Strafe nicht befreit, 
allein den Beteiligten statt dem Gesetz zur Last gelegt. Denn je nachdem 
sich die Gerichte oder vielleicht gar das eine mit der Sache beschäftigte Gericht der einen 
oder der anderen der vielen möglichen Anschauungen anschließt, wird der Gewerbetreibende 
bestrast oder freigesprochen. Man kann daher den geltenden Rechtszustand dahin formu- 
lieren, daß derjenige straffrei bleibt, der zufällig die Rechtsansichten des 
später mit der Sache beschäftigten Richters trifft, und daß bestraft wird, 
wer sie versehlt hat. Mit Recht bezeichnet Reichsgerichtsrat Lobe Rechtsanschauungen 
dieser Art geradezu als barbarisch (Leipz Z. 16, 649) und kein Staat, der darauf hält, daß 
die Strafe wirksam bleiben muß, kann diesen Zustand noch länger aufrecht erhalten, der 
auch die anständigsten Gewerbetreibenden mit schimpflicher Strafe bedroht und sie in 
ihrer nützlichen Tätigkeit lähmt. 
Besonders der Meltallhandel hat zu leiden. Einmal deswegen, weil die Verordnung 
v. 10. Dezember 1914, die die Höchstpreise für Metalle festgestellt hat, ganz besonders 
unklar gefaßt ist und den allerverschiedensten Auslegungen den weitesten Spielraum läßt. 
Dann aber kommt noch folgendes in Betracht. Das Reichsgericht unterscheidet den Irrlum 
über das Strafgesetz vom Irrtum über andere Gesetze. Der Irrtum über andere Gesetze 
wird entschuldigt. Demzufolge müssen die Gerichte prüfen, welche gesetzlichen Bestim- 
mungen als Strasfgesetze anzusehen sind und welche nicht. Dabei wird nun die merkwürdige 
Unterscheidung gemacht: wenn die Strafe in demselben Gesetz angedroht wird, in dem die 
Höchstpreise festgestellt werden, dann gelten die Festsetzungen der Höchstpreise als Straf- 
gesetz. Ein Irrtum bei ihrer Auslegung wird nicht berücksichtigt. Werden aber die Höchst- 
preise festgesetzt, ohne daß gleichzeitig Strafe angedroht wird, und wegen der Strafe auf 
die schon früher erlassene allgemeine Höchstpreisverordnung Bezug genommen, so ist ein 
rrkum in der Auslegung entschuldbar. Dieser Unterschied wird niemanden einleuchten. 
Er steht zu dem Rechisbewußtsein des Volkes im stärksten Gegensatz. Gerade beim Metall- 
handel ist aber der Bundesrat derart verfahren, daß er zugleich mit der Festsetzung der 
Höchslpreise besondere Strafen angedroht hat; daß also hier, wo die Auslegung ganz 
besonders schwierig ist, jeder Irrtum mit Gefängnis bedroht ist. 
Es liegt uns fern, Personen zu schützen, die in voller Kenntnis des Gesetzes und 
seiner richtigen Auslegung zuwiderhandeln. Aber gerade deshalb, weil das Gesetz denen, 
die wissentlich die Gesetze verletzen, diejenigen gleichstellt, die das Gesetz befolgt zu haben 
glaubten und sich darin geirrt halten, ist die Abhilfe um so dringender. Die gutgläubigen 
und anständigen Kaufleute wünschen sich nicht in der Gesellschaft der wissentlichen Gesetzes- 
verletzer zu befinden. Sie laufen jedoch gegenwärtig Gefahr, der gleichen Beurteilung 
und allgemeinen Verachtung anheimzufallen, wie dicjenigen, die ihre Strafe verdienen. 
Eine solche Wirkung läßt sich schon heute in der Art der Revisionen feststellen, denen
	        
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