Bel. über Anderungen der VO. zur Entlastung der Gerichte usw. v. 18. Mai 1916. 767
Teil ihrer Sachen ausmachen, ist erheblich. Gerade die wirtschaftlich schwächsten Amts.
gerichtsanwälte werden durch die Verordnung geschädigt. Außerdem liegt es nahe, daß
diejenigen, die sich infolge der neuen Bestimmung daran gewöhnt haben, bei den lleinsten
Streitwerten auf die Hilfe der Rechtsanwälte zu verzichlen, diese Übung auf größere
Obiekte ausdehnen werden, und die unerwünschte Zuziehung von Rechtskonlusenten und
Winkeladvokaten auf Kosten der Rechlsanwoltschaft wachsen wird. Das Publikum, das
während des Krieges sich vom Rechtsanwalt abgewendet und sich dem Rechtskonsulenten
zugewendet hat, wird vielfach auch nach Wiederaufhebung der Verordnung den Weg zum
Rechtsanwalt nicht zurückfinden.
Aus den zahlreichen Besprechungen in der juristischen Literatur sei nur eine Be-
merkung Miltners (LeipzB. 15 1271) hervorgehoben: „Unausgesprochen lann aber nicht
bleiben, daß die V O. sowohl in ihrer Gesamtwirkung, als vermöge einzelner Vorschriften,
z. B. des & 19 auf eine Schmälerung der Gebühreneinnahmen der Rechtsanwälte hinaus-
laufen muß. Es ist zu bedauern, daß in der VO. anscheinend nicht möglich war, auch in
Ansehung der Rechtsanwaltsgebühren, den Gesichtspunkt der Abhilfe wirtschaftlicher
Schädigung vorwalten zu lassen.“
Die deutsche Rechtsan waltschaft ist sich dessen bewußt, daß sie wie andere Stände
Schädigungen, die der Krieg notwendig mit sich bringt, während der Kriegszeit ruhig zu
ertragen hat. Sie darf auch darauf hinweisen, daß viele Rechtsanwälte bemüht sind, durch
Mitarbeit in Rechtsauskunftsstellen, Einigungsämtern usw. dem notleidenden Teile des
Volkes Beistand zu leisten. Hier aber handelt es sich um eine Maßregel, die weder die
wirtschaftliche Bedrängnis des Volkes lindert noch den Gerichten eine wesentliche Enklostung
verschaffen kann, deren Notwendigkeit übrigens mindestens in großen Teilen des Reichs,
wie z. B. in Bayern und Sachsen von maßgebenden Stellen verneint wird. Der Entlastung,
die durch leichtere Abschließung eines Vergleichs beim Mangel von Anwaltskosten entstehen
kann, steht gegenüber die Erfahrung, daß die Geringfügigkeit der Kosten den Entschluß
zur Prozeßführung erleichtert, ferner der Wegfall der vermittelnden Tätigkeit vieler An-
wälte und die Tatsache, daß eine Verhandlung ohne Anwälte viel zeitraubender ist, als
eine durch Anwälte vorbereitete und unter ihrer Mitwirkung sich vollziehende Ver-
handlung.
Auch gegen die §§ 20 bis 22 haben wir Bedenken grundsätzlicher Art zu erheben.
Die Ausschließung jedes Rechtsmittels bei kleinen Objekten ist geeignet, das bei
ihnen beteiligte rechtsuchende Publikum zu schädigen. Für den Armen bedeutet ein Gegen-
stand von dem in Rede stehenden Wert unter Umständen so viel wie für andere eine große
Summe. Die Rechisfragen, um die es sich bei leinen Objekten handelt, können ebenso
schwierig und wichtig sein wie bei großen Streitgegenständen. Auch bei den kleinen Ob-
jelten gibt es sogenannte typische Fälle, die sich sehr oft wiederholen, und nur oder fast
nur bei kleinen Objeklen vorkommen.
Die Richter sind selbstverständlich von sehr verschiedener Befähigung, und selbst
hervorragende Richter haben nach eigener Erklärung an sich die Erfahrung gemacht, daß
sie als Einzelrichter unter Umständen in der Gefahr waren, sich in eigenartige unrichtige
Rechtsauffassungen zu verirren.
Es muß die Möglichkeil bestehen bleiben, daß wesentliche Irrtümer in der Recht-
sprechung durch eine höhere Instanz ausgeglichen werden. Nach dem Preußischen Gesetz
v. 20. März 1854 war für Bagatellsachen ein Rekurs zulässig, wenn ein Rechlsgrundsatz
verletzt, gegen die klare Lage der Sache erkannt war, erhebliche Tatsachen unbeachtet
gelassen, oder wesentliche Prozeßvorschriften verletzt waren. Ein solches Rechtsmittel
lönnte ausreichen, um eine Vereinfachung herbeizuführen, ohne die mit der Abschneidung
jedes Rechtsmittels verbundene Schädigung mit sich zu bringen; man könnte auch eine
noch größere Vereinfachung der Rechtsmittel für möglich halten, aber die in den 85 20
bis 22 gegebene Verkürzung der Rechie der Parteien, durch die zugleich eine wirlschaft-
liche Schädigung der Anwälte entsteht, erscheint uns nicht gerechlfertigt. —.
Das notwendige Mahrwerfahren ist dazu bestimmt, die Geschäftslast der Gerichte