Bek. über Anderungen der VO. zur Entlastung der Gerichte usw. v. 18. Mal 1916. 773
Lasten, dic der Krieg für die Gesamtheit des deutschen Volkes auch in weilerer Zukunft
nach sich ziehen wird, werden für die Anwaltschaft besonders drückend sein, weil sie auf die
geseblich festgelegten Gebührensätze angewiesen und deshalb nicht wie andere Berufs-
stände in der Lage ist, auf die eine oder andere Weise einen Ausgleich dafür zu suchen. In
diesem Zusammenhang darf auch auf die in Aussicht stehende Erhöhung der Postgebühren
hingewiesen werden.
Daß in solcher Zeit, in der Tausende von deulschen Anwälten im Felde stehen und
von den Zurückgebliebenen ein großer Teil mit schwerer Not zu kämpfen hat, eine für ihr
Ansehen wie für ihre wirischaftliche Lage so bedrohliche Vorschrift wie die des § 19 der
Enllastungs VO. erlassen werden konnte, hat in der deutschen Anwaltschaft tiefgehende
Erregung und Verbitterung hervorgerufen. Ihr Unmut ist noch gesleigert durch die Be-
sorgnis, daß der Erlaß der Vorschrift eine Folge der anwaltfeindlichen Bestrebungen ist,
die seit geraumer Zeit — zum Teil unter skrupelloser Irreführung der öffentlichen Meinung
und vielfach unter Verunglimpfung des ganzen Standes — auf möglichst weitgehende
Ausschaltung der anwaltlichen Tätigkeit aus der Rechtspflege hinarbeiten. Schon haben
die Wortführer jener Bestrebungen gerade die nach der Uberzeugung der deutschen An-
waltschaft schädlichsten Bestimmungen der Verordnung als einen Triumph ihrer Sache
hinzustellen gesucht; und schon fordern sie nicht bloß ihre Beibehaltung für die Zeit nach
dem Kriege, sondern ihre immer weitere Ausdehnung. Indem die Vereinigung der
Kammervorstände der ernsten Besorgnis Ausdruck gibl, die die deutsche Rechtsanwallschaft
angesichts solcher Vorgänge erfüllt, hält sie sich für verpflichtet, Verwahrung dagegen
einzulegen, daß dieser Strömung weiter nachgegeben werde, und zugleich daos Verlangen
nach möglichst baldiger Wiederaufhebung der hier bekämpften Vorschriften auszusprechen.
Wenn nach dem Kriege die Zeit gekommen sein wird, um an die ihrer Lösung harren-
den großen Fragen der Prozeßreform heranzutreten, wird die deulsche Rechtsanwaltschaft
ihre Mitwirkung hierzu nach besten Kräften zur Verfügung stellen; und sie wird dabei auch
ihre eigenen Interessen nur insoweit vertreten, als sie mit dem Gemeinwohl vereinbar
sind. Um so sicherer darf sie aber auch erwarten, daß gesetzgeberische Maßnahmen zur
Justizreform in Zukunft nicht mehr getroffen werden, ohne daß ihre berufenen Vertreter
rechtzeitig gehört worden sind. Diese Erwartung spricht die Vereinigung der Kammer-
vorstände auch hinsichtlich solcher Reformen aus, die (wie es dem Bernehmen nach in bezug
auf die Einführung eines außergerichtlichen Zwangsvergleichsverfahrens der Fall sein
soll) noch für die Kriegszeit in Aussicht genommen sind. Sie würde endlich auch Wert
darauf legen, daß ihr bei etwaigen statistischen Erhebungen über die Wirkungen der Ent-
lastungsverordnung Gelegenheit gegeben wird, die Fragen zu bezeichnen, die nach ihrer
Ansicht hierbei besonders berücksichtigt werden müßten..
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Das rechtsnolwendige Mahnverfahren ist durchaus nicht das vielfach gesuchle, geeignete
Mittel zur Trennung der streitigen Sachen von den lediglich dem gerichtlichen Beitreibungs-
verfahren zu unterwerfenden Sachen; wohl aber dient es der Verzögerung des Verfahrens,
und zwar am meisten gerade in denjenigen Sachen, in denen eine Verzögerung am wenigsten
erwünscht ist; es schaltet den beratenden, dem Prozeß vorbeugenden RA. aus; bedeutet
dadurch eine Belastung der Gerichte, eine volkswirlschaftliche Schädigung und eine Beuach-
teiligung der Rechtsan waltschaft zugunsten der rechtsunkundigen und nicht immer gewissen-
hasten Laienvertreter.
Die Einschränkung der Pflicht der unterliegenden Partei zur Erstattung der Anwalts-
kosten wird die Bevölkerung, und zwar wiederum am meisten die von kargem Erwerb
lebende, minderbemittelte Bevölkerung zu einem für die öffentlichen wie für die privaten
Interessen gleich schädlichen Warten auf den Gerichtskorridoren veranlassen. Sie zerstört
das Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Anwalt, der sich dem Verdacht aussetzen
wird, er wolle dem kleinen Mann nicht helfen, wenn er ihn pflichtmäßig auf die Beschränkung
der Erstatlungsfähigkeit seiner Kosten hin weist, sie bedroht gerade die Anwaltschaft an den
Amtsgerichtssitzen in ihren Existenzbedingungen, während doch dauernd es als erwünscht