Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916. 853
während Millionen und Abermillionen der kräftigsten Arbeiter gerade aus diesen In-
dustrien herausgenommen worden sind.
M. H., ich will die ungeheuren Anstrengungen, die England gemacht hat, nament-
lich im letzten Jahre, nicht einen Augenblick verkleinern. Aber immerhin darf ich daran
erinnern, daß Englands Kohlenerzeugung, die in Friedenszeiten stels größer war als die
unsrige, für das laufende Jahr kaum irgendwie wesentlich höher sein wird als die Kohlen-
förderung Deutschlands. Ich dari daran erinnern, daß die Stahlerzeugung Englands,
die wir in Frledenszeiten bereits beträchtlich überholt hatien, auch jetzt im Kriege trotz,
der großen englischen Anstrengungen erheblich hinter unserer Stahlerzeugung zurück-
bleibt. Dabei arbeitet England ebenso wie seine Bundesgenossen mit Chinesen und Ma-
laien, mit Niggern und mit anderen farbigen Völkerschaften, während uns, außer den
Gesangenen, im wesentlichen nur unsere eigene Arbeitskraft zur Verfügung steht.
Aber ich will nicht nur von Zahlen sprechen. Unter dem Druck der Kriegsnotwendig-
keiten hat unsere Industrie Fortschritte erzielt, die weit über den Notbehelf hinausgehen,
dauernde Errungenschaften, deren volle Entfaltung sich erst im Frieden ausnugzen lassen.
In ungeahntem Maße haben wir gelerut, Material und Kraft zu sparen, teures und aus.
ländisches Material durch billiges und inländisches Material zu ersetzen. Die Kräfte unserer
Industrie sind in diesem Kriege gewachsen wie niemals in Friedenszeiten innerhalb eines
gleich kurzen Zeitraums. In Monaten wurden gewaltige Anlagen geschafsen, für die man
in Friedenszeiten Jahre veranschlagt hätte. Die Schule der Binnenwirtschaft, die wir
jetzt durchmachen, wird bleibend und dauernd unsere wirtschaftliche Kraft, unsere Selb-
ständigkeit und unsere Weltstellung stärken.
M. H., ich will die Landwirtschaft nicht vergessen. In zwei schweren Jahren
hae sie gezeigt, daß sie mit Anspannung aller Kräfte unsere Volksernährung sicherzustellen
vermag. Unsere Ernährungsgrundlage für das laufende Erntejahr steht außerhalb jeder
Bedrohung durch die Feinde. Trotz der schlechten Kartoffelernte können wir angesichts
der gulen Ernte an Körnerfrüchten und an Futtermitteln besser, zuversichtlicher und sicherer
als im vorigen Jahre in dle Zukunft blicken. Wir stehen auch in dieser Beziehung besser
und sicherer als vor einem Jahre.
Aber keine Ilusionen, weder hier noch draußen im Volke! Wir bleiben knapp.
Die sorgfältigste Wirtschaft und peinlichste Sparsamkteit, ja selbst empfindliche Einschrän-
tungen und Entbehrungen sind und bleiben unerläßlich. Ich weiß, es ist ein schlechter
Trost, wenn andere gleichfalls leiden. Aber wenn diese anderen unsere Feinde sind, mit
denen wir in tödlichem Ringen liegen, dann wird dieser Trost schon etwas besser. In
einem Kriege, der die ganze Wirtschaftskraft der Völker gegeneinander ausetzt, ist cs
keine müßige Frage, wie der andere steht. Genau wie für den Feldherrn das Maß der
cigenen Streitkräfte für sein Urkeil, für die Entscheidungen, die er zu treffen hat, nicht
allein ausschlaggebend sein kann, genau ebenso steht es im Wirtschaftskriege. Gewiß, vom
Hunger der anderen ist noch niemand satt geworden. Aber in diesem Wirtschaftskriege
ist es für uns nicht gleichgültig zu wissen, ob unsere Feinde im Uberfluß schwimmen, oder
ob sic darben.
Darum gestatten Sie mir einen ganz kurzen Uberblick, einige ganz wenige Zahlen,
die diese Verhältnisse beim Feinde beleuchten. Von unseren Gegnern ist England für
drei Viertel bis vier Fünftel seines Bedarfs an Brotgetreide bekanntlich auf die über-
seeische Zufuhr angewiesen. Aber auch Frankreich und Iralien haben auf Grund der letzten
Ernte einen nicht unerheblichen Ausfall. Das Hauptversorgungsgebiet für unsere Feinde
ist der Norden des amerikanischen Kontinents, die Vereinigten Staaten und Kanada;
daneben kommen Argentinien, Indien und Australien in Betracht. Rußland scheidet ja
ersreulicherweise aus; die Dardanellen haben die anderen nicht aufbrechen können.
Die Ernte in Nordamerika war nun im vorigen Jahre eine Rekordernte von
nie gekannter Höhe. Dieses Jahr hat sie einen Absturz von gleichfalls nie bekannter Heftig-
leit erlebt. Die Weizenernte der Vereinigten Staaten und Kanadas betrug im Jahre
1915 37½ Millionen Tonnen, im Jahre 1916 nur 21 Millionen Tonnen. Das sind 16