Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916. 873
Abg. Becker--Arnsberg (Zentr.): Zwischen dem Koalitionsrecht und dem Streikrecht
der Eisenbahner ist immer unterschieden worden. Ob dieser Unterschied juristisch haltbar
ist, ist eine Sache für sich. Immerhin hat eine gesetzliche Bestimmung, wie wir sie wollen,
eine moralische Wirkung, sie kann einen gewissen Druck auf die Behörden ausüben. Soll
die Arbeitsfreudigkeit erhallen werden, so müssen die Arbeiterführer die Beschwerden
der Arbeiter entgegennehmen können. Wenn uns vom Regierungstische gesagt werden
würde, daß das, was wir wollen, selbstverständlich sei, daß es durchgeführ werden soll,
dann läge die Sache für uns anders. Die Frage des Eisenbahnerstreiks wollen wir nicht
damit aufrollen.
Staatssekretär d. J. Dr. Helfferich: M. H.! In der Sache sind wir vollkommen
einig. Ich gebe die Versicherung ab, daß den verbündeten Regierungen bei der Vorlegung
dieses Gesetzentwurfs nichts ferner lag, als irgendwie an dem bestehenden Zustande etwas
zu ändern und zuungunsten der Arbeiter zu verschlechtern. Dieser Gedanke lag den ver-
bündeten Regierungen durchaus fern. Der einzige Punkt, der mich veranlaßt hat, um das
Wort zu bitten, war eben, darauf aufmerksam zu machen, daß eine verschiedene Auslegung
hier möglich ist. Die Unklarheit, ob dadurch etwas herbeigeführt werden würde, was auch
den Absichten des Herrn Abg. Becker (Arnsberg) sernliegt, besteht in der Tat. Ich wieder-
hole den Fall: der Eisenbahnminister, und zwar nicht bloß der preußische, sondern sämtliche
Eisenbahnminister stehen auf dem auch von dem Herrn Vorredner als berechtigt anerkannten
Standpunkt, daß die Eisenbahnverwaltungen nicht in der Lage sind, Leute dauernd
anzustellen, die einer Koalition angehören, die auf das Streikrecht nicht verzichtet hat.
Naoch dem Vereinsgesetz ist jeder Deutsche berechtigt, einem Verein beizutreten. Daraus
könnte die Frage entstehen: wenn hier in diesem Gesetz eine neue Bestimmung getroffen
wird, daß den im vaterländischen Hilfsdienst Stehenden die Ausübung des Vereins- und
Versammlungsrechts nicht beschränkt werden kann, wird dann diese Bestimmung nicht die
bisherige Auffassung der Eisenbahnverwaltung einfach über den Haufen wersen? Das
beabsichtigen Sie nicht, Herr Abg. Becker. — Die Herren Antragsteller scheinen eine solche
Wirkung mit dem Paragraphen gleichfalls nicht zu beabsichtigen; sie wollen an anderer
Stelle die Eisenbahnangelegenheit zur Sprache bringen. Also der gegebene Ausweg
aus der Silualion ist, daß die Herren auf ihren Antrag verzichten und sich mit meiner
Erklärung, die der Herr General Groener noch ergänzen wird, begnügen, daß unter keinen
Umständen bei der Annahme des Gesehees eine Verschlechterung des Vereins= und Ver-
sammlungsrechks zuungunsten der Arbeiter eintreten soll.
Präsident des Reichsamts Groener: M. H., ich nehme ganz selbstverständlich an,
daß die Arbeiterorganisationen sich rückhaltlos auf den Boden dieses Gesehzes stellen
werden, und ebenso selbstverständlich ist es, daß die Führer der Arbeiler in der Lage sein
werden, auf die Arbeiter den Einfluß auszuüben, den sie im Sinne dieses Gesetzes auch
auszuüben haben. Das ist ihre vaterländische Pflicht, und das Kriegsamt wird in diesem
Sinne zusammen mit den Führern der Arbeiter wirken.
Abg. Becker-Arnsberg (Zeutr.): Ich habe leine Erklärung verlangt darüber, daß die
Lage der Arbeiter nicht verschlechtert werden soll, sondern darüber, was geschehen soll,
daß ihre Lage nicht verschlechtert wird. Dieser Antrag bedeutet allerdings nur eine mo-
ralische Einwirkung auf die, die das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht anerkennen.
Slaatssekretär d. J. Dr. Helfserich: Ich habe vorhin nicht ohne Absicht gesagt,
daß meine Erklärungen durch die des Herrn General Groener ergänzt werden würden.
Denn nach dem Gesetz soll die Ausführung des Gesetzes beim Kriegsamt liegen, und Leiler
des Kriegsamts bin nicht ich, sondern Herr General Groener. Ich kann mich nur zu den
allgemeinen Fragen äußern, zu der Stellung, die die verbündeten Regierungen bisher bei
der Beratung des Gesetzes eingenommen haben zu der Frage, die hier ausgeworfen worden
ist. Und da lann ich nur bestäligen, daß die Absicht, irgendwie eine Beschränkung des gegen-
wärligen Zustandes herbeizuführen, nicht vorgelegen hat. Auch nach der Auffassung des
Herrn Abg. Becker ist gar nicht beabsichtigt, neues Recht mit diesem Paragraphen zu schaffen.
Aso rechtlich bleibt alles so, wie es ist nach Ihrer Absicht und der meinigen. Ich sehe nur