648 5. Übergangswirtschaft.
Verlust an Nationalvermögen keineswegs abgeschlossen. Ich will nur auf einen an-
deren, sehr wichtigen Punkt hinweisen, der später für die Übergangswirtschaft von
großer Bedeutung sein wird. Das ist die Rcederei. Auf dem Gebiete der Reederei
haben wir während des Krieges sehr erhebliche Abgänge erlebt, weil nicht die normale
Erneuerung stattsinden konnte, da die Werften zum großen Teil für andere Zwecke
in Anspruch genommen waren, und dann vor allem weil bei Kriegsausbruch ein großer
Teil unserer Tonnage sich auf dem Weltmeere schwimmend oder auch in neutralen
oder feindlichen Ländern befand. Wie Sie wissen, haben wir eine große Tonnenzahl
verloren. Vor dem Kriege hatten wir über 5 Millionen Brutto-Registertonnen, und
heute haben wir — wenn mir die Zahl richtig im Gedächtnis ist — 3,4 Millionen Brutto-
Registertonnen. Darin ist eingerechnet, was heute noch in den neutralen Ländern liegt.
Also der Verlust, der uns da betroffen hal, isl rechl erheblich, und es besteht keine Sicher-
heit, daß er nicht noch weiter sleigen wird.
Aber auch mit diesen Zerstörungen und Verlusten hat das, was an Anlagekapital
verloren gegangen ist, keineswegs sein Ende erreicht. Sie müssen bedenken, daß eine
große Anzahl von Maschinen und Elnrichtungen zerstört worden sind, so z. B. durch
die Herausnahme der Sparmetalle aus Industrien, die jetzt während des Krieges nicht
im höchsten Maße angespannt sind, durch die Herausnahme von Kupfer, Nickel usw.;
dadurch sind viele Maschinen zugrunde gegangen. Sie dürfen auch nicht vergessen,
daß ein großer Teil unserer ganzen maschinellen Apparatur aufs stärkste abgenutzt wor-
den ist, daß eine Menge von Maschinen, die für den Friedensbedarf eingerichtet waren,
in Maschinen für den Kriegsbedarf umgewandelt worden sind. Ferner müssen Sie
bedenken, daß in der Textilindustrie, da dort große Fabriken feiern, zahlreiche Maschinen
still stehen. Auch diese Maschinen leiden mehr oder weniger und gehen zugrunde; auch
hier heißt es: Rast' ich, so rost“ ich, und das Rosten ist gerade bei den feinen Maschinen,
wie sie in der Textilindustrie im Gebrauche sind, mitunter gleichbedeutend mit einem
vollständigen Verlust.
Alles in allem genommen, ist also der Substanzverlust unserer Volfswirtschaft
durch die Kriegswirtschaft recht erheblich.
Dann kommt das, was ich vorhin als Unschichtung bezeichnete. Wir
haben unser Kapital in sehr großem Umfange ganz anders verwendel, es in
ganz andere Kanäle geleitet, es in ganz andere Formen gebrachl, als in der Friedens-
wirtschaft.
Ich sprach eben von der Umwandlung zahlreicher Betriebe aus Friedensbetrieben
in Kriegsbetriebe. Sie wissen, wie zahlreiche Fabriken zur Granatenfabrikation, zur
Zündersabrikalion herangezogen worden sind, die früher nicht im entferntesten an so
etwas gedacht haben und nun eigens dafür eingerichtet werden mußten. Wir sind
während des Krieges durch die großen Aufträge, die die Heeresleitung erteilt hat und die
notwendig waren, um den Krieg durchzu führen, zu einer Hypertrophie der Kriegs-
industrien und zu einer Blutleerc der Friedensindustrien gekommen, die noch dadurch
verstärkt worden ist, daß in zahlreichen Industrien die Rohstofse sehlen. Wir arbeiten
heutc eigentlich nur noch für den Krieg. Es ist ein Deplazement der Kapitalien ein-
getreten, wic es die Weltwirtschaft noch nicht gesehen hat.
In noch stärkerem Maße als beim Anlagekapital ist das beim Betriebskapital der
Fall. Auch hier sehen wir eine große Umschichtung. Wir sehen hier eine Llauidation
der Bestände. Die großen Vorräte an Rohstossen, an Halbfabrikaten und Fertigsabri-
katen werden allmählich aufgebraucht. In Friedenszeiten waren Läger vorhanden,
die nicht nur für ein Jahr, sondern — wie uns die Erfahrung bewiesen hat — weit
darüber hinaus den Bedarf der Volkswirtschaft deckten. Diese Bestände werden durch
den Krieg aufgezehrt. Die Konsequenzen für den Ubergang von der Kriegswirtschaft
in die Friedenswirtschaft ergeben sich von selbst. Die in Beständen angelegten Betriebs-
klapitalien werden aufgezehrt in ihrer Form, aber sie bleiben erhalten in ihrer Substanz: