Full text: Kriegsbuch.Vierter Band. (4)

650 5. Übergangswirtschaft. 
Friedenswirtschaft nicht erleichtern, sondern — darüber sind wir uns wohl alle llar 
— wesentlich erschweren. 
Nun komme ich zu der Frage der Arbeitskräfte. Auf diesem Gebiete beobachten 
wir analoge Erscheinungen wie auf dem Gebiete des Kapltals, sowohl was die Zer- 
störung wie auch die Umschichtung anlangt. 
Über die Zerstörung brauche ich kaum etwas zu sagen. Die vielen Tolen, die 
größtenteils in fremder Erde begraben liegen, die Millionen von Krüppeln, die in ihrer 
Arbeitssähigkeit beeinträchtigt zurückkehren werden, stellen eine Zerstörung menschlicher 
Arbeit dar, wie sie kaum jemals auch nur in ähnlichem Umfang stattgefunden hat. 
Auch hier hat es mit der Zerstörung nicht sein Bewenden. Dieselben Momente, 
die während des Krieges das Kapital in andere Bahnen gelenkt haben, führen natür- 
lich auch die Arbeit in andere Kanäle. Die Hypertrophle der Kriegsindustrie hat be- 
wirkt, daß Arbeitskräftec, die früher in friedlichen Betrieben tätig waren, in Munitions. 
fabriken und ähnliche Fabriken dirigiert worden sind; andere sind ihrer Friedensarbeit 
entzogen worden, um draußen gegen den Feind zu kämpfen. 
Nun wissen Sie alle, daß die Frage der menschlichen Arbeitskräfte in dlesem 
Kriege eins der brennendsten Probleme ist. Sie wissen allc, wie große Mühe es macht, 
der Industrie die Arbeitskräfte zuzuführen, die sie notwendig braucht, um das zu schaffen, 
was für die Kriegsführung und für die Volksernährung geschafft werden muß. In- 
folge der starken Einziehungen zum Heeresdienste ist eine große Veränderung in der 
Verteilung der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte und in der Beschäftigung 
der Jugendlichen eingetreten. Ich habe in der vertraulichen Besprechung mit den Mit- 
gliedern des Hauptausschusses bereits hierfür elnige Zahlen angeführt und möchte 
diese Zahlen auch hier mitteilen: denn sie geben Ihnen ein Bild von den enormen Ver- 
schiebungen auf diesem Gebiete. In der Land- und Forstwirtschaft, in der Gärtnerei 
usw. betrug die Zahl der welblichen Arbeitskräfte am 1. Juli 1914 32 Prozent; heute 
macht sie 45 Prozent aus. Bei der Hüttenindustrie, bei der Metallverarbeitungsindustrie, 
der Maschinenindustrie usw. betrug die Anzahl der weiblichen Arbeltskräste im Jahre 
1914 nur 7 Prozent; heute beträgt sie 19 Prozent. Bei der clektrischen Industric ist 
der Prozentsatz der weiblichen Arbeitskräfte von 24 Prozent vor dem Kriege jetzt auf 
55 Prozent gestiegen; also entsällt heute mehr als die Hälfte dieser Arbeitskräfte auf 
Frauen. In der chemischen Industrie ist der Prozentsatz der weiblichen Arbeitskräfte 
von 7 Prozent vor dem Kriege auf jetzt 23 Prozent gestiegen. In der Textilindustrie 
ist der Anteil der weiblichen Arbeitskräste von 54 Prozent auf 64 Prozent gestiegen. 
In der Industric der Holz- und Schnihstoffe sehen wir eine Steigerung von 15 auf 
26 Prozent, in der Nahrungs= und Genußmittelindustrie eine solche von 48 auf 60 
Prozent, in der Bekleidungsindustrie eine solche von 53 auf 64 Prozent. Und im Bau- 
gewerbe endlich sehen wir eine Steigerung von 3 auf 9 Prozent. Diese Zahlen geben 
Ihnen ein Bild davon, in welchem Umfang sich das Vechältnis der männlichen und 
welblichen Arbeitskräste während des Krieges verschoben hat. 
Über diese Verschiebung, Zerstörung und Umschichlung ausf dem Gebiete der 
Arbelt und des Kapitals hinaus sind durch den Krieg sehr tiefgehende Anderungen in 
der gesamten Organisation unserer Volkswirtschaft herbeigeführt worden. 
Wie unsere Friedenswirtschaft aufgebaut war, wissen Sie: im großen und ganzen 
baute sie sich auf der freien wirtschoftlichen Initiative auf. Der Krleg hat uns aus 
Mangel an Rohstoffen gezwungen, das, was vorhanden ist, gerecht zu verteilen, uns 
soviel als möglich zu beschaffen und überspannte Preisforderungen zu verhindern, und 
dies durch ein System, das aus Höchstpreisen, Beschlagnahme und Verteilung, ver- 
bunden mit Rationierung, Zentralisierung und Monopolisierung zusammengeseztzt ist. 
also durch ein System, das man kurz zusammengefaßt unseren Kriegssozialismus 
nennt. Daß wir uns bei diesem Kriegssozialismus übermäßig glücklich fühlen, wird man 
nicht behaupten wollen. Ich möchte jedenfalls als meine Meinung aussprechen, daß wir, 
wenn der Krieg vorbei ist, versuchen müssen, aus all den Ketten und Hemmungen, die
	        
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