Schutzhafigesetz v. 4. Dezember 1916. 565
mit der Abänderung anschließen können, daß unter Umständen insbes. mit Rücksicht auf
die Größe des befürchteten Unheils auch die entferntere Möglichkeit des Eintritts einer
Verletzung die begründete Besorgnis und damit die Sicherungsmaßnahmen rechtfertigt.
Es bleibt stets zu beachten, daß Gefahren abgewendet werden sollen, die in ernster Kriegs-
zeit der Sicherheit des Reiches drohen. Die Erhaltung dieser Sicherheit ist die wichtigste
Ausgabe und der oberste Gesichtspunkt des Militärbefehlshabers. Dahinter muß notfalls
der Anspruch des einzelnen Verdächtigen auf persönliche Frciheit zurücktreten. Damit
sind nicht Verhaftungen, die sich auf eine beliebige phantastische Möglichkeit und Besorgnis
gründen, gerechtsertigt, aber es ist je nach Lage des Falles zu entscheiden, welche Anforde-
rungen an Substantiierung hinsichtlich Nähe und Konkretheit der Möglichkeit der Ge-
fährdung zu erheben sind.
7. Romen a. a. O. 42. Unter der „Sicherheit des Reiches“, für die eine Gefahr
bestehen oder drohen muß, ist sowohl die äußere wie die innere Sicherheit, in erster Linie
die militärische und politische Sicherheit des Reiches zu verstehen. So wird besonders die
Gefährdung der Sicherheit des Heeres, der Landesverteidigung — auch ohne daß der Tat-
bestand einer strafbaren Handlung vorliegt — als Gesahr für die Sicherheit des Reiches
gelten müssen. Unter Umständen wird aber auch die Gefährdung der wirtschaftlichen
Lage und Sicherheit im Reiche als Gefährdung der Sicherheit des Reiches angesehen
werden können, so würde z. B. eine Gefährdung der allgemeinen Volksernährung auch
die Ernährung des Heeres trefsen. Eine Hungersnot würde das Reich zur Unterwerfung
zwingen und es aller militärischen Erfolge berauben. Pürschel, Gesetz über den Belage-
rungszustand, S. 162.
8. Romen a. a. O. 43. Daß die Anordnung der Haft einer Aufenthaltsbeschränkung
das einzig mögliche Mittel zur Abwendung sei, wird nicht gesordert werden dürfen. Dar-
über, ob die Anordnung der Haft oder einer Aufenthaltsbeschränkung „erforderlich“ ist,
entscheidet zunächst der Militärbefehlshaber (oder sonstige Inhaber der vollziehenden Ge-
walt) lediglich nach eigenem, freiem, pflichtmäßigem Ermessen.
9. Feisenberger, LeipzZ. 17 518. Trotz Vollstreckung der Schutzhaft kann ein
gerichtlicher Haftbefehl, trotz Vollstreckung des gerichtlichen Haftbefehls erlassen werden.
Während Bestehens des ersten Haftbefehls findet jedoch eine Vollstreckung des zweiten
nicht statt.
10. RMilG#. I, Leipz Z. 17 1269. Gegen den Beschwerdeführer W. ist am 26. März
1917 Schutzhaft verhängt, danach am 13. April 1917 gerichtl. Haftbefehl wegen versuchten
Landesverrats erlassen. Der MilBefeblshaber hat im Anschluß an den gerichtl. Haft-
befehl den die Sch H. betreffenden nicht aufgehoben, vielmehr beantragt, letzteren auf.
recht zu erhalten. Der Senat hat, da es unmöglich ist, daß jemand zu gleicher Zeit in
gerichtlicher und SchH. sitzt, gefolgert, daß der SchH Befehl, nachdem W. in Untersuchungs-
baft verbracht ist, nur noch so verstanden werden kann, daß die Anordnung der Schutzhaft
als solche zwar bestehen bleibt, die Vollstreckung aber durch die gerichtl. Hast unterbrochen
ist und erst wieder auflebt in dem Augenblick, wo die gerichtl. Hast aufhört. Soweit in
srüheren Beschlüssen ein anderer Standpunkt eingenommen ist, wird er nunmehr ausge-
geben. Der Senat ist der Ansicht, daß gerichtl. Haft unbedingt und ohne weiteres vor-
geht. Die Vollstreckung der Sch H. wird daher durch die gerichtl. Haft unbedingl und ohne
weiteres unterbrochen, der Sch HBesehl lann aber als solcher bestehen bleiben. Seine Voll-
streckung Gruht nur während der Vollstreckung der Unkers ., kritt aber ohne weiteres wieder
ein mit Beendigung der gerichtl. Haft. Da die Anordnung der Sck H. ober bestehen bleibt,
ist auch während der Unterbrechung ihrer Vollstreckung die Beschwerde gegen den SchH.-
Besehl jederzeit als zulässig anzuerkennen; auch muß gemäß § 5 SchH G. nach Ablauf
von 3 Monaten geprüft werden, ob der SchHBefehl weiter aufrecht zu erhalten ist. Grund-
sählich ist zwar unter Verhaftung im Sinne des Sch HG. nur der vollstreckte Haftbefehl
zu verstehen. Dieser Grundsatz muß aber hier eine Ausnahme erleiden. Denn der durch
den Haftbefehl Betrossene darf nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht dadurch benach-
steiligt werden, daß die Vollstreckung der angeordneten SchH. wegen einer gleichzeitig voll-