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treter des ganzen Volkes. Ein repräsentativer
Charakter ist den Ständen abzusprechen. Öffent-
liche Rechte (Teilnahme an der Gesetzgebung,
Steuerbewilligung, Kontrolle der Regierung) übt
jeder einzelne Landstand als ein persönliches
wohlerworbenes, auf der patrimonialen Grundlage
beruhendes Recht aus, nicht kraft irgendwelcher
Delegation seitens anderer. Niemand verpflichtet
ihn, bei Beratungen und Abstimmungen das all-
gemeine Wohl mit Hintansetzung der eigenen
Sonderinteressen im Auge zu behalten. Keinem
Auftraggeber ist er für sein politisches Verhalten
verantwortlich. Die Stände vertreten ihren Grund
und Boden der Landesherrschaft gegenüber
und damit zugleich ihre hörigen Hintersassen, die
nur als Zubehör desselben, gleichsam als Wirt-
schaftsinventar, in Betracht kommen. Als die Leib-
eigenschaft aufhörte, wurden die Stände zu Ver-
tretern nicht nur des Grund und Bodens, sondern
auch zu Vertretern ihrer nunmehr freien Hinter-
sassen. Diese Personalvertretung sah man als aus
der grundherrschaftlichen, obrigkeitlichen Stellung
fliessend an, welche dem Grundherrn über sein
Besitztum, und was sich auf demselben befindet,
zusteht. Weil nun diese obrigkeitliche Stellung
ein rein persönliches Recht des Grundherrn ist,
ohne dass dem Grundherrn daraus Pflichten
gegenüber den der Obrigkeit unterworfenen Per-
sonen erwachsen, ist auch trotz der infolge Auf-
hörens des Hörigkeitsverhältnisses eingetretenen
Veränderung der alte Grundsatz in Geltung ge-
blieben, dass die Landstandschaft kraft eigenen
Rechtes ausgeübt wird, nicht kraft einer Delegation
der vertretenen Hintersassen.