94 U. Verfassung des Deutschen Reiches.
schüsse zu den Reichsanstalten verzeichnet waren. Diese Um-
lagen wechseln also jährlich in ihrer Höhe. Die Unterverteilung
des erforderlichen Gesamtbetrages auf die einzelnen Bundes-
staaten erfolgt nach ihrer Bevölkerungszahl. Um diese genau
zu ermitteln, finden in regelmäßiger Wiederkehr — gewöhnlich
alle 5 Jahre — Volkszählungen statt; die letzte war am
1. Dezember 1910.
Diese an sich klare Ordnung der Reichsverfassung im
Finanzwesen des Reiches erwies sich gegenüber den stetig
wachsenden wirtschaftlichen und politischen Aufgaben des Reiches
gar bald als durchaus unzulänglich. Die ohnehin schwankenden
(. S. 66) Haupteinnahmen aus Zöllen, Verbrauchssteuern und
Stempelsteuern reichten bei weitem nicht aus, zumal durch-
geführte Erhöhungen auf Grund von Sondergesetzen zum
größeren Teil den Einzelstaaten überwiesen waren (die sog.
Franckensteinsche Klausel und die sog. leges Lieber). In-
folgedessen stiegen die Bundesbeiträge stetig (bis 565 Mill. M
für 1903 gegen 64,1 Millionen für 1880/81) und über-
stiegen die Überweisungen an die Einzelstaaten. Dieses Hin
und Her von Überweisungen an die Einzelstaaten und Rück-
gewähr als Bundesbeiträge an das Reich sowie deren schwankende
Höhe und teilweise Stundung bis zum dritten Rechnungsjahre
ergaben für die Haushalte des Reiches wie der Einzelstaaten
eine gleich drückende Unsicherheit. Dabei blieb das Reich, wie
Fürst Bismarck sagte, „Kostgänger der Einzelstaaten“, statt
finanziell selbständig auf eigene Füße gestellt zu sein. Für
die Einzelstaaten selbst wurden aber die Bundesumlagen um
so drückender, da sie als reine Kopfsteuer nicht nach der Steuer-
kraft des Landes, sondern lediglich nach der Kopfzahl der Be-
wohner ausgeworfen sind. Dies trifft namentlich die Klein-
staaten mit ärmerer Bevölkerung schwer; denn es muß z. B.
für die Bewohner der armen Thüringer Waldgegend ebenso-
viel gezahlt werden als für eine gleiche Anzahl reicher Hamburger