Full text: Die Verfassung und Verwaltung des Deutschen Reiches und des Preußischen Staates in gedrängter Darstellung.

6. Das Justizministerium. 185 
forderlichen Ermittelungen; beim Gerichte wird die Sache 
durch den Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung oder 
Einreichung der Anklageschrift anhängig. Die Vorunter- 
suchung hat den Zweck, die Tat und den Täter festzustellen; 
sie ist schriftlich und nicht öffentlich; dabei ist der Angeklagte 
zu hören, um ihm Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung zu 
geben. Gleichzeitig kann gegen ihn die Untersuchungshaft 
beschlossen werden, wenn dringende Verdachtsgründe vor- 
liegen und er der Flucht verdächtig ist, oder wenn auf Grund 
von Tatsachen anzunehmen ist, daß er Spuren der Tat ver- 
nichten oder auf Zeugen einzuwirken suchen werde. 
Über die Anklage wird nach Eröffnung des Hauptver- 
fahrens in mündlicher und öffentlicher Verhandlung entschieden. 
Die Offentlichkeit des Verfahrens besteht darin, daß dem 
Publikum der Zutritt zu den gerichtlichen Verhandlungen 
gestattet ist; sie kann durch einen öffentlich zu verkündenden 
Beschluß des Gerichtes ausgeschlossen werden, wenn der öffent- 
lichen Ordnung oder der Sittlichkeit Gefahr droht. (Dies 
sieht bereits Art. 93 der Preußischen Verfassung vor.) Die 
Beratungen des Gerichtshofes, die Erwägung der Gründe 
und Gegengründe für die Entscheidung sind der Öffentlich- 
keit entzogen. Die Mündlichkeit besteht darin, daß vor 
dem urteilenden Gerichte der Angeschuldigte zu erscheinen 
und sich persönlich zu rechtfertigen hat, sowie daß in seiner 
Gegenwart der Beweis für die Anklage erbracht wird. 
Es werden also die gesamten Beweismittel zur Fest- 
stellung des Tatbestandes und zur Überführung des Täters 
dem Gerichte vorgeführt; insbesondere werden daher die 
Zeugen, auch wenn sie bereits im Vorverfahren gehört worden 
sind, noch einmal vernommen. Die Vereidigung findet vor 
oder nach der Aussage statt. Der Richter hat sodann auf Grund 
des Gesamtbildes der mündlichen Verhandlung nach seiner freien 
Überzeugung den Spruch zu fällen, ohne an beschränkende Be-
	        
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