6 Die Verfassung des Deutschen Reichs.
Den zu einem Reichsamte berufenen Beamten eines Bundes-
staates stehen, sofern nicht vor ihrem Eintritt in den Reichsdienst im
Wege der Reichsgesetzgebung etwas anderes bestimmt ist, dem Reiche
gegenüber diejenigen Rechte zu, welche ihnen in ihrem Heimatslande
aus ihrer dienstlichen Stellung zugestanden hatten.
Art. 19. Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundes-
pflichten nicht erfüllen, können sie dazu im Wege der Exekution ange-
halten werden. Diese Exekution ist vom Bundesrate zu beschließen
und vom Kaiser zu vollstrecken.
V. Reichstag.
Art. 20. Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten
Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor.
Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im §5 5 des Wahlgesetzes
vom 31. Mai 1869 (Bundesgesetzbl. 1869 S. 145) vorbehalten ist,
werden in Bayern 48, in Württemberg 17, in Baden 14, in Hessen
südlich des Mains 6, in Elsaß. Lothringen 15 Abgeordnete gewählt
und beträgt demnach die Gesamtzahl der Abgeordneten 397.7)
R att 21. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den
eichstag.
Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt
oder in einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder
im Reichs= oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein
höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es
Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine Stelle in dem-
selben nur durch neue Wahl wieder erlangen.
Art. 22. Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich.
Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffent-
Lch feihungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwort-
ichleit frei.
Art. 23. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz
des Reichs Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem
Bundesrate resp. Reichskanzler zu überweisen.
Art. 24. Die Legislaturperiode des Reichstages dauert fünf“.)
Jahre. Zur Auflösung des Reichstages während derselben ist ein Be-
schluß des Bundesrates unter Zustimmung des Kaisers erforderlich.
Art. 25. Im Falle der Auflösung des Reichstages müssen inner-
halb eines Zeitraumes von 60 Tagen nach derselben die Wähler, und
innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der Auflösung der
Reichstag versammelt werden.
Art. 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung
desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während der-
selben Session nicht wiederholt werden.
Art. 27. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder
und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und seine
Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt seinen Präsidenten,
seine Vizepräsidenten und Schriftführer.
*) Gesetz vom 25. Juni 1873 (Rl. S. 161).
* Gesetz vom 19. März 1888 (RGBl. S. 110).