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Darum können Rechtsgeschäfte des Staates, darum können
Pflichten und Rechte des Staates, weil sie und sofern sie des
Staates sind, nur öffentlicher Natur sein. Für den einzelnen
Untertanen aber, mit dem der Staat seine Geschäfte abschließt,
sind diese sowie die für ihn erwachsenden Pflichten und Rechte
privater Natur, weil sie seine privaten Interessen realisieren,
und nur weil sie seine privaten Interessen realisieren, läßt er
sich in sie ein, erfüllt er die Pflichten, erwirkt er die Rechte.
Der Begriff eines privaten Rechtsgeschäftes des Staates ist
ungefähr von der gleichen logischen Qualität wie die Vorstellung
vom Nordpol aus nach Norden zu marschieren °®.
8° Eine Scheidung der juristischen Methoden in eine zivilistische
und eine publizistische versucht Stoerk, Zur Methodik des öffentlichen
Rechtes. Wien, 1885. ‚Während also bei den Privatrechtserscheinungen
das Individuelle neben dem Typischen verschwindet, tritt hier (im öffent-
lichen Recht) das Typische in den Hintergrund und das Individuelle
des nationalen, historischen, wirtschaftlichen Tatbestandes verlangt
aus der Masse herausgegriffen, auf seine spezifische Substanz geprüft
und im logischen Zusammenhange untersucht zu werden“ (a.3.0. 8.76).
Dieser von Stoerk behauptete Gegensatz innerhalb der juristischen
Methoden beruht jedoch auf einem primitiven methodologischen Fehler:
Stoerk hält die Theorie des öffentlichen Rechtes für eine historische
Wissenschaft vom sozialen Geschehen mit der Aufgabe, das Wirkliche,
das Sein zu erklären, während doch offenbar jede Rechts wissen-
schaft, also auch die Wissenschaft vom „öffentlichen Rechte“, keine
Seins-, sondern eine Sollbetrachtung postuliert, keine explikative, sondern
eine normative, d. h. auf Begreifen von Rechtsnormen gerichtete
Disziplin ist. Was Stoerk für die Methode des Staatsrechtes fordert,
wäre tatsächlich richtig, wenn sein Grunddogma richtig wäre: ‚„Staats-
recht soll Staatsleben bedeuten‘ (a. a. O. 8.75). Dieses ist aber ein
fundamentaler Irrtum. Soziologie und Geschichte haben es mit dem
Staatsleben zu tun, nicht aber das Staatsrecht, das ebenso wie das
Privatrecht nur Rechtsnormen (in ihrer objektiven und subjektiven
Erscheinungsform) zum Gegenstand hat. Vgl. dazu meine Haupt-
probleme 8. 3ff. Der Gegensatz, den Stoerk zwischen Privat- und öffent-
lichem Rechte sah, ist jener Gegensatz, den jetzt Windelband und Rickert
konstruieren, zwischen Naturwissenschaft und historischen (Kultur-)
Wissenschaften, ist ein Gegensatz innerhalb von Seins-Disziplinen. —