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Deutschland.
und an Macht vertritt. Schon das gegenwärtige Bundesverhältniß bringt
es mit sich, daß in den Gegenständen seiner beschränkten Competenz ein ge-
ringer Theil Deutschland's den Rest binden konnte zum Handeln, wie zum
Unterlassen. Die beschränkte Natur der Bundeszwecke, insbesondere aber die
Rücksicht, welche der Macht der realen Verhältnisse und der Stellung der
beiden Großmächte getragen wurde, bot jedoch ein heilsames Correctiv, so
daß das der Vitalität des Bundes und seiner Wirksamkeit so sehr gefähr-
liche Gebrechen des Widerspruchs zwischen Stimmrecht und Machtgewicht
nicht verhängnißvoll wurde. Seitdem aber das Streben rege geworden ist,
dieses mißverhältliche Stimmrecht im Bundeswege gegen reale
Machtverhältnisse zur Geltung zu bringen, wächst jene Gefahr. Es ist ge-
wiß an der Zeit, darauf aufmerksam zu machen, daß die von der Mehrheit
des Ausschusses im vorliegenden Falle vertretene Absicht, die Bundeszwecke
aus dem Wege der Stimmenmehrheit zu erweitern und auf dieselbe Weise
neue Organismen zu schaffen, sich in dieser bedenklichen Richtung bewegt.
Wenn man den Geist betrachtet, welcher in der Bundesacte selbst und ihren
Fundamentalprincipien, sowie in der fast ein halbes Jahrhundert umfassen-
den Praxis der Bundesthätigkeit waltet, so ergibt sich die unverhältnißmäßige
Tragweite eines so entschieden über diesen Geist hinausgehenden Experiments.
Weit entfernt, eine Entwickelung des Bundesrechts zu enthalten, würde die
angestrebte Einrichtung, nach dem Zugeständnisse der Mehrheit selbst, zu ei-
ner völligen Verwandlung in ein anderes Staatswesen führen. In diesem
würde die Minderheit vielfach eine rechtlich ungenügende Stellung und
dem thatsächlichen Vorgehen der Mehrheit gegenüber eine ohnmächtige
Rolle zu übernehmen haben. Daß sich in ein solches Mißverhältniß keine
der beiden Großmächte fügen würde, ist als selbstverständlich an-
zusehen. Die Beseitigung, nicht die Vergrößerung des angedeuteten Ge-
brechens, welches in der unrichtigen Vertheilung der Stimmen und der
mißbräuchlichen Ausübung des Stimmrechtes liegt, wäre zu erstreben.
Einrichtungen, wie die vorgeschlagenen, entsprechen dagegen ebensowenig dem
Geiste des bisherigen Bundesverhältnisses, als dem Bedürfnisse nach
einer Reform desselben. Im Sinne des Majoritätsgutachtens würde die
befürwortete Delegirtenversammlung mit berathender Stimme etwa die
Grenze dessen bezeichnen, was, auf Bundesgrundlage, dem Drange der
deutschen Stämme nach engerer staatlicher Einigung zu bewilligen wäre.
Die letzteren aber werden in dem Zwecke der Anträge vom 14. Aug. keine
Annäherung an die höheren Ziele staatlicher Einheit und Stärkung er-
blicken, keinen Fortschritt der nationalen Bewegung, sondern eine Ab-
lenkung von derselben. Die beantragte Institution würde mithin nicht ein-
mal als eine Abschlagszahlung betrachtet werden. Sie entspricht der
Höhe der Anforderungen so wenig, daß man vorziehen würde, nicht durch
eine Annahme des Gebotenen das Geforderte zu verlieren.
Die Regierungen, die Volksvertretungen, die Bevölkerungen sind zu Opfern
bereit, um große nationale Ziele zu verwirklichen. Allein man kann darauf
gefaßt sein, daß sie, gegenüber einer ungenügenden Lösung, welche zugleich
weitere Fortentwickelung ausschließen soll, lieber auf dem Boden des Bun-
desrechts stehen bleiben und sich einstweilen bei den daraus fließenden Rech-
ten und Befugnissen genügen lassen werden. So wenig der dem Ausschusse
ertheilte Auftrag es mit sich bringt, schon jetzt sich mit den Modalitäten zu
beschäftigen, wie dereinst die berechtigten Wünsche der Nation
zu befriedigen wären, so muß inzwischen auf die Nothwendigkeit hingewiesen
werden, ihrer Erfüllung nicht zu präjudiziren. Der Gesandte vermag in
dem beredten Bilde, welches die Majorität von der Zukunft Deutschland's
auf dem vorgeschlagenen Wege entwirft, keine Realität zu erkennen; er muß
dringend wünschen, daß auf demselben nicht weiter vorgegangen werde. Die
Gefahren, welche die Mehrheit auf anderen Wegen zu politischer Einigung