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erblickt, werden auf dem von ihr empfohlenen jedenfalls nicht vermieden.
Derselbe läßt die Gegenstände einer wahren und wesenhaften Re—
form und die tieferen Gründe des Strebens nach einer solchen unberücksich-
tigt. Sollte der Versuch gemacht werden, ihn dennoch gegen das Recht
und den Willen einer Minderheit am Bunde zu verfolgen, so
möchten dadurch Conflicte erzeugt werden, welche jenen vermeintlichen Ge-
fahren an Ernst nicht nachstehen dürften. Der Gesandte kann schon jetzt bei
Gelegenheit dieses Votums sein Befremden darüber nicht unterdrücken, daß nach
der Ansicht der Mehrheit des Ausschusses über den Widerspruch einer der
beiden deutschen Großmächte in einer Sache, in welcher das Bedürfniß der
Stimmeneinhelligkeit so wenig zweifelhaft erscheint, als in der vorliegenden,
und über den präjudiciellen Einwand eben dieser Großmacht wegen der Zu-
lässigkeit des Majoritätsverfahrens überhaupt durch formelle Fort-
setzung des letzteren ohne weiteres zur Tagesordnung übergegangen werden
könnte, als ob dieser Widerspruch nicht vorhanden wäre. Die Ausschußver-
handlungen sind nicht der Ort, um das politische Verhalten eines Bundes-
gliedes gegen Beschlüsse, die in der Bundesversammlung versucht werden
könnten, zu erörtern. Doch glaubt der Gesandte den Ausdruck der Besorg-=
niß nicht zurückhalten zu sollen, daß die Fortsetzung des oben vorausgesetzten
Verfahrens zu einem Punkte führen könne, wo die dissentirende Regierung
außer Stand gesetzt wäre, in einer im Widerspruch mit den Bundesgrund-
gesetzen verfahrenden Versammlung noch das Organ des Bundes zu er-
kennen, an dessen Schließung sie sich betheiligt hat.“
Minoritätsvotum Badens: „ .. Manches und Gewichtiges ist ein-
zuwenden. Vorerst gegen die Art und Weise, wie das gemeinsame Gesetz-
gebungsrecht geordnet werden will. Man mag einverstanden sein, in der
Einheit der Gesetzgebung ein werthvolles Resultat einer glücklichen nationalen
Entwicklung und Geschlossenheit anzuerkennen; aber man wird zugeben
müssen, daß. wenn das Staatsleben eines Volkes sich in der conföderativen
Form fest geordnet hat, vor allem die Bedingungen einzuhalten sind, unter
welchen allein diese Gestaltung erhalten werden kann. Es müßte denn sein,
daß darauf ausgegangen würde, dieselbe durch die straffere Einheitsform zu
ersetzen. — Hier steht nun aber fest, daß es keine Attribution gibt, welche
in den zu einem föderativen Ganzen verbundenen einzelnen Staats-
organismen so wenig auch nur auf die kürzesten Augenblicke entbehrt
werden kann, als die volle unbeschränkte Befugniß, Gesetze zu schaffen, zu
ändern und aufzuheben; — und wieder gibt es kaum ein Attribut, welches
für die Leistungen der von dem deutschen Volke als seinem guten Rechte
verlangten Centralgewalt so gleichgiltig ist, als die erleichterte Möglichkeit,
in die Gesetzgebung der Einzelstaaten bestimmend oder empfehlend oder auch
nur wünschend einzugreifen. Will in einem Bunde eine gemeinsame Gesetz-
gebung für gewisse Lebensgebiete eingeführt werden, so muß in wesentlich
anderer Weise verfahren werden. In allen durch Erfahrung erprobten
Föderativeinrichtungen mit gemeinsamer Gesetzgebung hat eine Scheidung
der jedem Theile, dann aber ausschließlich, zustehenden Gegenstände der
Gesetzgebung bestanden, keineswegs aber eine Verbindung der beiderseitigen
Thätigkeit mit verschiedenem Beschlußrechte.
„Sodann ist Einwendung zu erheben gegen die geringe Bedeutung des ge-
machten Vorschlags für die politischen Zustände. — Wie fruchtbar sich die
Einberufung einer Delegirten -Versammlung erweisen möchte, dieselbe würde
schwerlich einen vollständigeren Erfolg gewinnen können, als daß ihre Be-
schlüsse in Gesetzgebungsfragen der Bundesversammlung gegenüber sofort
maßgebend und auch für die Landesvertretungen bindend würden. Dieses
Resultat könnte vielleicht von Solchen gepriesen werden, welche entschlossen
wären, die Existenz der Einzelstaaten dem großen Gedanken nationaler Ein-
heit zu opfern. Allein wie wenig bei Festhaltung der Grundlage des deut-