Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Pteußen. 153 
haupt erlebt habe; im Jahr 1849 traten die ersten schutzzöllnerischen An— 
träge hervor. Preußen habe seit Erneuerung des Zollvereins häufig An- 
träge auf Herabsetzung des Schutzzolles gemacht, es sei weiter gegangen als 
der gegenwärtige Handelsvertrag, alleln es sei damit nicht durchgedrungen. 
Das Haus zähle drei Männer zu Mitgliedern, welche die Finanzpolitik 
Preußens zu den verschiedensten Zeiten geleitet hätten: die Abgeordneten 
für Elberfeld, Solingen und Königsberg; alle drei seien in der freien 
Richtung dieser Politik eins gewesen; und daß die Stadt Elberfeld den 
verdienten Kühne gewählt, das sei ihm ein Zeichen, daß diese Richtung 
auch im Volke wurzele (Beifall). Der Handelsvertrag mit Frankreich habe 
zuerst die Gelegenheit gegeben, die Tarifreform durchzuführen, und eröffne 
zugleich den Markt eines großen Nachbarlandes. Der Vertrag sei ein 
Compromiß schutzzöllnerischer Interessen mit freihändlerischen Forderungen; 
er sei der erste Schritt zur Herstellung der Gerechtigkeit. Darum bitte er 
um offene und freie Beurtheilung, damit die Discussion zum Wohle des 
Vaterlandes ende. Man fordere von den Industriellen, welche an den 
Schutz gebunden seien, keine Beschlüsse wie die der berühmten Nacht des 
4. August (Beifall). Der Vertrag errichte keine Scheidewand gegen Oester- 
reich; es wäre Oesterreichs Sache, wenn es seinerseits eine Scheidewand 
errichten wollte. In der ihm vorliegenden Depesche erkläre Oesterreich, daß 
es im österreichischen Interesse Opfer bringen müsse, weiterhin aber träten 
diese Opfer auf als dem deutsch-österreichischen Zollverband gebrachte. Die 
ganze Bedeutung des Planes sei nicht die einer Zolleinigung, sondern die 
Abhängigmachung jeder Aenderung des Zolltarifs von der Zustimmung der 
österreichischen Regierung, ja von einer Landesvertretung, in welcher Nicht- 
deutsche die Mehrheit haben. Preußen sei durch seine Lage und seine Ge- 
schichte auf eine liberale Handelspolitik hingewiesen; Oesterreich nicht. Man 
müsse sich wundern, wie Oesterreich den Muth gehabt habe, Preußen der- 
artiges anzubieten: es habe gewiß selbst nicht an einen Erfolg geglaubt. 
Also entweder sei es eine Drohung, um Preußen matt zu machen, oder 
ein Versuch, den Zollverein zu sprengen und Süddeutschland an Oesterreich 
zu binden. Möge die Absicht die eine oder die andere sein, Preußen dürfe 
nur Eine Antwort haben: „Wir bleiben bei dem Vertrage, den wir ge- 
schlossen haben, und wir hoffen ihn mit unserem guten Rechte und unserer 
guten nationalen Stellung auch durchzuführen“ (Beifall). In diesem Sinne 
möge die gegenwärtige Verhandlung vor sich gehen; es werde hier ein Werk 
beschlossen, welches für ganz Deutschland wirken solle. Zu dieser ächt 
deutschen That Preußens möge das Haus ein Votum abgeben, an welchem 
nicht gedeutelt werden könne. Von mehreren Seiten habe man Bedingungen 
an die Genehmigung des Vertrages geknüpft, welche mit demselben gar 
nicht in Verbindung ständen. Mit einer Reform unserer Gesetzgebung 
z. B. stehe der Vertrag nur in soweit in Verbindung, als er dazu einen 
kräftigen Anstoß geben werde (Bravo). Das Votum des Hauses solle auch 
für das übrige Deutschland wirken, es müsse deshalb ein unzweideutiges 
sein, damit sich nicht eine Agitation daran knüpfe, und so bitte er um 
Genehmigung des Vertrages ohne Abänderung, ohne Phrase. Nachdem 
der Referent geschlossen, ersucht auch der Minister des Auswärtigen Graf 
Bernstorff das Haus um möglichst einstimmige Annahme der Verträge, 
indem er demselben zugleich mittheilt, daß die Regierung in einer gestern 
in Wien überreichten Note den Antrag Oesterreichs auf Eintritt in den 
Zollverein abgelehnt habe und zugleich erklärt, daß, wenn von politischen 
Concessionen gesprochen werde, welche angeblich an Frankreich bei Abschluß 
der Verträge gemacht worden sein sollen, durchaus keine politischen Motive 
dabei leitend gewesen seien, sondern rein materielle und handelspolitische. — 
Am Schluß der ganzen Debatte ergreift der Referent Michaelis nochmals 
das Wort: „Wir stehen am Schluß einer dreitägigen lebendigen Debatte,
	        
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