Object: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Uebersicht der Ereignisse des Zahres 1862. 423 
grollte über die schweren Einbußen, die ihm die Emancipation der Leib-Rußland. 
eigenen auferlegte, ein anderer suchte sie durch Erringung politischer Rechte 
aufzuwiegen und die Adelsversammlung von Twer ging schon im Febr. 
so weit, in einer Adresse an den Kaiser geradezu die Einberufung von 
Deputirten aus dem ganzen Russischen Reiche ohne Unterschied der Klassen 
und Stände zu verlangen behufs Lösung der durch die Emancipation der 
Leibeigenen „gestellten aber nicht gelösten“ Frage. Im Mai wühtheten 
in St. Petersburg und in anderen Städten gewaltige Feuersbrünste, die 
nicht zufällig zu sein schienen und die ziemlich allgemein dem verbreche- 
rischen Treihen einer systematischen Umsturzpartei zur Last gelegt wurden. 
In Polen war das alte Streben nach politischer Ungbhängigkeit zu An- 
fang d. J. 1861 plötzlich und fast unwiderstehlich aufs Neue ausgebro- 
chen und hatte, von der kath. Kirche geschützt und theilweise genährt, im 
Nov. zu einem Zusammenstoße mit der Regierungsgewalt geführt, das mit 
der Schließung der Kirchen von Warschau, mit Verhaftungen, Verurtheilungen 
und Deportationen endigte, ohne indeß den passiven Widerstand zu brechen, 
den die Bevölkerung dem Russischen Regiment und selbst den wohlwollen- 
den Versuchen der Russischen Regier ung entgegen setzte. Diese hatte so- 
gleich bei Ausbruch der Polnischen Bewegung auf das frühere System 
unbedingter, rücksichtsloser Repression verzichtet. An irgend eine Art von 
Wiederherstellung Polens dachte sie freilich nicht, aber sie war wenigstens 
geneigt, in der Verwaltung den gerechten Forderungen der Polen einiger- 
massen entgegenzukommen und dieselhe staft, wie bisher ausschließlich 
Russischen Generalen eingebornen Polen anzuvertrauen. So war der 
Graf Wielopolski in die Regierung zu Warschau berufen und ihm die 
Verwaltung des Cultus und der Justiz übertragen, es war ein polnischer 
Staatsrath, dessen Mitglieder jedoch ausschließlich vom Kaiser ernannt und 
die bis auf wenige auch von ihm besoldet wurden, eingesetzt, die Orga- 
nisation von gewählten Municipal-, Kreis= und Guberyiglräthen wenig- 
stens eingeleitet worden. Nach dem Zusammenstoß in Warschau im Nov. 
1861, geriethen diese Reformen allerdings wieder ins Stocken und die 
Regierung wax offenbar über die, Politik, die sie der Bewegung gegen- 
über fortan beobachten wollte, zweifelhaft. Der Graf Wielopolski gah 
seine Entlassung ein und erhielt sie. Um zunächst den Widerstand des 
kath. Clerus abzuwenden, suchte die Russische Regierung sich mit Rom zu 
verständigen und mit der Zustimmung, des Papstes wurde in den ersten 
Tagen des Jahres 1862 ein einfacher Priester, der bisher in St. Peters-
	        
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