Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Preußen. 169 
selben nur Verwirrung und unheilvolle Verwickelungen anrichten kann. 
Wenn die Verfassung vorschreibt, daß der Staatshaushalt in jedem Jahre 
durch ein Gesetz festgestellt werden soll, — so scheint es unzuläs- sig und 
den verfassungsmäßigen Pflichten zuwider, bei der Mitwir- 
kung zu diesem Gesetze Beschlüsse zu fassen, deren Unannehm- 
barkeit und Unausführbarkeit den Beschließenden selbst ganz 
klar bewußt ist. . . . Der Abgeordnete Twesten (der übrigens mit 
der Mehrheit des Hauses gestimmt hat), wies die praktische Nichtigkeit der 
beabsichtigten Beschlüsse mit folgenden Worten nach: „Hält man es faktisch 
für unthunlich, auf den Zustand von 1859 zurückzukehren oder will man es 
ernstlich gar nicht, will man nicht das, was man durch das Urtheil über 
den Etat scheinbar verlangt, dann stellt man sich auf den Boden eines for- 
malen Princips, welches die realen Verhältnisse mißachtet und in der Politik 
niemals Dauerndes schaffen oder erhalten kann. Man sagt etwas, was nicht 
ist, man beschließt, was man gar nicht ausgeführt haben will; es ist das 
eine Politik der Agitation und Demonstration, — welche eine gedeihliche 
Entwickelung unserer parlamentarischen Zustände unmöglich macht. Statt 
materielle Vortheile für 1863 zu erreichen, ruft man jedenfalls für den Au- 
genblick große Unregelmäßigkeiten in dem ganzen Staatshaushalte hervor. 
Man ruft aber auch durch einen solchen Beschluß außerhalb des Hauses die 
Täuschung hervor, als wenn nun das, was gestrichen und abgesetzt wird, 
wenn nicht für den Augenblick, so doch für die Zukunft wirklich erspart 
werden sollte, und ich glaube, eine solche Illusion würde entweder später 
eine Enttäuschung hervorrufen, welche der Autorität dieses Hauses schweren 
Schaden bereiten würde, — oder sie würden weiter und weiter zu Schritten 
treiben, welche einen immer schwereren Bruch unvermeidlich machten“. Im 
Anschluß an diese Worte wies der Herr Finanzminister v. d. Heydt noch- 
mals auf die faktische Unmöglichkeit hin, daß an dem Budget für 
1862 diejenigen Absetzungen stattfinden könnten, welche die Commission vor- 
geschlagen, und hob die Gefahr hervor, daß „„Umstände eintreten, 
unter denen irgend etwas geschehen müsse, was nicht aus- 
drücklich in der Verfassung geschrieben sei““. ... Wenn un— 
geachtet der klaren factischen Lage der Dinge und ungeachtet aller entschiede- 
nen Mahnungen das Haus dennoch beschlossen hat, was nicht ausgeführt 
werden kann und „„was man gar nicht ausgeführt haben will““, so wird 
das Haus sich der Mitverantwortlichkeit für die däraus erwachsenden Zu- 
stände Angesichts des Landes nicht entschlagen können“. 
26. Sept. Ein Schreiben des Abg. Müllensiefen an den Kronprinzen 
spricht mit großer Wärme die Gesinnungen und Gefühle der Ma- 
jorität des Abg.-Hauses im Augenblicke der eingetretenen Krisis aus: 
„K. Hoh.! Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten bereiten sich zur 
Heimkehr vor. Ein zweites Mal in diesem Jahrs hatten die schönsten Hoffnungen, 
die  zur Hauptstadt begleitet; sie verlassen dieselbe mit demjenigen 
Gefühl des Unmuths, das sich nur irgendwie an getäuschte Hoffnungen zu 
knüpfen  vermag, und wie einst Moses von dem Gipfel des Pisga das Land 
der Verheißung nur von ferne schauen durfte: „Ich habe es dich sehen lassen 
mit deinen   Augen, aber hinein sollst du nicht kommen, „so mögen die Alten 
unter uns von dem schönen lebensvollen Bilde scheiden, das ein ehrlich ver- 
fassungsmäßiges  Regiment den Augen ihrer Seele zeigte. Schreiber dieser Zeilen überschritt  
   sein 60. Lebensjahr, zuviel der Jahre bereits, täuschenden Bildern 
anzuhangen,    und war seine parlamentarische Thätigkeit auch die 
allerbescheidenste, - die anererbte Liebe zu seinem Königshause will ihn nicht  von dannen ziehen lassen, bevor  er seine Auffassung der gegenwärtigen Verhält nisse        
 in wenigen Worten in die Hände Ew. kgl.       
   Hoheit niedergelegt . 
Hat der Kampf um verfassungsmäßiges Leben bereits viel Wohlstand zer-
	        
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