Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

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Preußen. 
stört, manches Unternehmen gelähmt, so wird ein Versuch, wie verlautet, ohne. 
Verfassung weiter zu regieren, wenn auch nicht sofort, doch in seinem Ver- 
lauf, der Wirkung eines jener Winde Afrika's gleichen, deren Gifthauch 
blühenden Gefilden den Stempel der Verödung aufdrückt. Nur ehrliches 
Walten nach verfassungsmäßigem Recht vermöchte es, so großes Unglück ab- 
zuwehren und Segen statt Fluch über Volk und Land zu bringen, und der 
Majorität des Abgeordnetenhauses in ihrer Allgemeinheit, sowie sie eben 
zusammengesetzt ist, andere als patriotische Bestrebungen unterschieben, heißt 
Ehrenmännern im Kampfe für garantirtes Recht nur mit Verleumdung 
banken. „Diese Majorität kann nicht von ihrem Standpunkt weichen; denn 
greift beispielsweise der Schreiber dieser Zeilen in seinen eigenen Busen, da 
findet er mahnend und warnend den Eid, den er der Verfassung geschworen, 
und schon der Gedanke entsetzt ihn, an irgend etwas sich zu betheiligen, was 
mit diesem Landesgrundgesetz im Widerspruch sieht. Nein, lieber den Tod 
auf seinem Sitz in der Kammer, als den Fluch des Meineids auf der Seelel! 
Den Leib möchte man immerhin tödten, nähm' er doch den freien Geist 
mit sich hinüber in eine bessere Welt! Geruhen nun Ew. kgl. Hoheit, sol- 
chen Standpunkt zu erwägen, solche in tiefer religiöser Ueberzeugung wur- 
zelnden Motive zu prüfen, dann werden Sie das Drückende der Stellung 
eines ehrlichen Abgeordneten mitzufühlen vermögen, der auf einer Seite die 
Bahn sieht, die niederwärts führt, mit ihrem traurigen Gefolge der Zerrüt- 
tung durch alle Verzweigungen des Volkslebens hindurch, und auf der an- 
dern all'’ die Erfolge, welche Gesetz und Recht zur Seite haben, dem er nun 
den Rücken zu wenden verurtheilt wird. Der Unterzeichnete gehört seiner 
Lebensstellung nach der Industrie an, und ob dies Leben zum allergrößten 
Theil auch bitter und hart gewesen, — schon früh hat er den Wahlspruch: 
„Ein Wort — ein Wort! Ein Mann — ein Mann “ zu dem seinigen 
gemacht, treu genützt die ihm beschiedene Zeit und was er über den Un- 
terricht der Elementarschule hinaus sich angeeignet, den nächtlichen Stunden 
entrungen. So konnte auch nur Weniges der Länder= und Völkergeschichte 
an ihm vorübergehen, und was davon sein eigen wurde, war die klare 
Ueberzeugung, daß Völker schnell erblühten, je wie Gesetz und Recht ihr 
Banner war, und wie sie eben so schnell wieder sanken, oft bis zum Erlö- 
schen des nationalen Lebens, je wie sie diesem Banner untreu wurden. 
Kgl. Hoheit! Vermögen Sie es, so wehren Sie ab unausbleiblichem Ver- 
derben, so wehren Sie ab, daß das geheiligte Haupt Sr. Majestät nicht 
auch mit Kummer in die Grube fahre; und das wird es so unzertrennlich 
von dem eingeschlagenen Wege, als die Wirkung von ihrer Ursache unzer- 
trennlich ist. Ist es denn überhaupt ein revolutionärer Geist, der in den 
Völkern Europa's drängt und treibt? Ist es nicht vielmehr ein providen- 
tielles Einwirken zur Hervorbringung einer ganz neuen Zeit, dem dies le- 
gitime Ringen nach menschenwürdigerer staatsbürgerlicher Stellung entspricht? 
Und weise wäre es, dieser — eben weil sie providentiell — unbezwingbaren 
Strömung ein breites Bett zu graben. Oder sind die Lehren von 1848 so 
ganz vergeblich gewesen? — vergeblich das Beispiel Hollands, der Beweis 
Belgiens, daß ein Volk in Fried’ und Zuversicht dahin leben kann, ob auch 
die Wogen der Revolution um seine Grenzen schäumen, weil hinter ihnen 
Gesetz und Recht eine heimische Stätte gesunden! O es bedarf bei uns nur 
des Einen: Ehrlich und fest es einmal auf die Verfassung gewagt! Also 
Umkehr, Umkehr vom Rande gähnender Kluft! Denn wie es 
für jeden Menschen einen Pfad durch's Leben gibt, auf dem er nicht irren 
kann, — den: mit Abstreifung aller Streitigkeiten und Vorurtheile einfach 
ehrlich thun, was das Evangelium gebietet, so können auch Lenker und 
Leiter von Staaten nicht irren, wenn sie, sich selbst vergessend, der Maje- 
stät des Rechts sich unterordnen, denn Recht und Wahrheit stammen nicht 
von dieser Erde, und ob ein Reich nach Hunderten von Millionen seine
	        
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