Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Deulschland. 21 
Nationen durch seine Erfahrungen auf Einigkeit angewiesenen deutschen 
Volkes geworden.“ 
„.. Der geistige Kampf zwischen den Gegensätzen, welche sich in 
Deutschland entgegenstehen, muß innerhalb der Nation einen Abschluß ge- 
funden, oder unter der Lehre trüber Erfahrung zum Schweigen gekommen 
sein, ehe sich hoffen läßt, eine entsprechende Form für so verschiedenartige 
Standpunkte gewinnen zu können. — So lange ein Theil deutscher Staats- 
männer mit der ganzen Wärme patriotischer Ueberzeugung ein System zu 
verwirklichen strebt, von dem der andere, mit einer Ueberzeugung, die wir 
nicht für weniger aufrichtig halten möchten, keinen Anstand nimmt, Bür- 
gerkrieg und Einmischung des Auslandes vorher zu sagen, liegt zunächst 
eine wichtigere Aufgabe vor uns, als die Aufsuchung von Formen — näm- 
lich vor Allem die Unterordnung der vielgespaltenen Einzelbestrebungen un- 
ter den einen, allbeherrschenden und allein berechtigten Gedanken eines eini- 
gen und mächtigen Vaterlandes. — Es ist nur eine Erscheinung dieses be- 
trübenden Gegensatzes, wenn Frhr. v. Beust davon ausgeht, daß der 
Staatenbund nicht in Frage gestellt werden dürfe, nicht nur, weil ein 
Anderes unpraktisch sei, sondern weil die Pflicht gebiete, zu keiner Neuge- 
staltung die Hand zu reichen, welche, wie der Bundesstaat, eine Auflösung 
des Bundes in sich trage. — Die Idee des deutschen Bundesstaates 
ist darnach die Idee der Revolution und als solche unbedingt zu verwerfen. 
Innerhalb der Bundesverfassung selbst und ihrer Grundlage; des Staaten- 
bundes, soll sich die Reform vollziehen. Innerhalb derselben scheinen dem 
Sächsischen Staatsminister mannigfache Verbesserungen möglich. — Wir 
unsererseits gehen davon aus, daß die staatenbundliche Form der 
Bundesver fassung überhaupt als solche nicht zu größerer Leistungs- 
fähigkeit entwickelt werden kann, als der Bund seit seiner Gründung be- 
währt hat. Und zwar halten wir eine Verbesserung innerhalb des Staa- 
tenbundes für so unthunlich, daß wir unbedingt die Erhaltung des status 
quo zu vertheidigen uns genöthigt finden, so lange nicht eine Reform in 
Angriff genommen wird, welche entschlossen ist, auch die Grundlage des 
Staatenbundes zu verlassen. Wir scheuen uns nicht, unsererseits eine 
Veränderung als nothwendig zu bezeichnen, welche über 
diese Schranken des Staatenbundes hinausgeht, und fürchten 
nicht, daß der Vorwurf der Revolution einen Gedanken treffen kann, den 
schon heute deutsche Regierungen offen zu dem ihrigen gemacht, dem in 
nicht langer Vergangenheit deren Mehrzahl als einem rettenden beigetreten 
war und welchen in vielleicht nicht ferner Zukunft gerade die genehmigen 
können, die ihn heute noch zurückweisen." 
„ . . In Mitten dieses Gegensatzes der Meinungen, der sich kund ge- 
geben hat, scheint es mir von besonderer Wichtigkeit, die Gesichtspunkte ein- 
mal klar und unzweideutig festzustellen, von welchen nach unser An- 
sicht ausgegangen werden müßte, soll überhaupt die deutsche Bundesreform 
einen Schritt weiter geführt werden. Es ist nothwendig, sich die Lage 
zu vergegenwärtigen, unter welcher die deutschen Regierungen zu handeln 
berufen sind. — Durch ganz Deutschland geht eine große gesellschaftlich-po- 
litische Bewegung, die in ihrem letzten Zlele nichts Geringeres beabsichtigt, 
als die Aufhebung unserer als ungenügend befundenen Bundesverfassung 
und die Ersetzung derselben durch eine feste und enger geschlossene und zu- 
gleich vollkommener gegliederte Einheitsform. — Daß gegenüber den, die 
einzelnen deutschen Staaten vertretenden Regierungen und Tendenzen nun 
auch die Nation als Ganzes eine wirkliche, selbstständige Vertretung finde 
und daß hiedurch jeder einzelne Deutsche eine genügende Sicherung seines 
nationalen Daseins und Bewußtseins nach innen wie nach außen erhalte, 
das ist der allgemeine Sinn der Forderungen, die während der letzten Jahre 
sich in allen Kreisen unseres öffentlichen Lebens, namentlich in Presse, Kam-
	        
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