Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

6. Schweiz. 
5. Jan. (Zug). Die Erneuerungswahlen des Gr. Raths fallen überwiegend im 
13. 
# 
Sinne der liberalen Partei aus. 
Eröffnung der Wintersitzung der Bundesversammlung. 
Eröffnungsrede des Ständerathspräsidenten Herrmann (v. Obwalden). 
„. . . Wir dürfen wohl mit Zuversicht erwarten, es werde dem Bundes- 
rathe gelingen, ohne unsere gerechten Ansprüche im mindesten preiszugeben, 
unserm Recht volle und bleibende Anerkennung zu verschaffen. Doch sicher- 
lich ein weit größeres Unheil als solche Konflikte mit dem Auslande, die 
auch in der Zukunft kaum ausbleiben werden, an sich es sind, wäre es für 
unser Vaterland, wenn dieselben den Grund eines Zerwürfnisses unter den 
Bürgern des eigenen Landes bieten würden. Mögen wir auch über die Art 
und Weise, wie solche Anstände ihre Erledigung finden sollen, abweichender 
Meinung sein; mögen die einen ein entschicdenes Vorgehen, die andern 
kluge Mäßigung für das geeignete Mittel halten, unsere Ehre und nationale 
Selbstständigkeit zu wahren, so haben weder die Verfechter der einen noch 
der andern Ansicht ein Recht, die Vertreter der andern Anschauung des 
Mangels an Patriotismus oder gar der Sympathie mit dem Ausland an- 
zuklagen. Jeder Schweizer ist dem andern die Ueberzeugung schuldig, daß 
auch ihm des Vaterlandes Wohl über Alles gehe, dem er sein Höchstes und 
Bestes freudig zu opfern fähig sei. Wer aber in dem stolzen Wahn steht, 
nur er und seine Gesinnungsgenossen besitzen die ächte Vaterlandsliebe und 
die richtige Einsicht in dasjenige, was ihm noth thut, der dürfte vielleicht 
im entscheidenden Moment an Opferwilligkeit und persönlichem Muth 
Manchem nachstehen, dessen Bürgertugenden er früher mißtraute. Daher 
sei die gegenseitige Achtung der Ueberzeugung unser erstes Bestreben, indem 
nur sie jene Eintracht unter den Bürgern eines Landes zu begründen und 
zu unterhalten vermag, die in den Tagen der Gefahr stark und unüber- 
windlich macht .“ 
Creffnungerede des Nationalrathspräs,. Karrer (von Bern). 
„.. Wenn auch unsere Zustände im Vergleich mit andern Ländern be- 
friedigend sein mögen, so wäre es dennoch unklug, in unserer Wachsamkeit 
lässig zu werden. Die vergangenen und namentlich die zwei letzten Jahre 
haben uns gelehrt weder auf bestehende Verträge noch auf ein gegebenes 
Wort unbedingt zu bauen, der einzige Hort für uns ist das Vertrauen auf 
die eigene Kraft und ein strenges Festhalten an unserm Recht. „„Muth für 
alte Rechte kommt allen Völkern zu, ihre Maßregeln zu nehmen zur rechten 
Zeit nur den verständigen; wer bis auf die Noth wartet, von dem geschieht 
alles leidenschaftlich, übereilt, übertrieben,““ sagt unser Geschichtschreiber 
Müller. Wir haben bei unsern Beschlüssen in der Sommersitzung in diesem 
Sinn gehandelt, fahren wir fort in diesem Sinn zu handeln und wir 
werden der Zukunft und # Uren Prüfungen mit Ruhe, Festigkeit und Zu- 
versicht entgegensehen.
	        
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