Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

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Rußland. 
Grundidee hinsichtlich der Gleichberechtigung aller Stände und aller Elemente 
der Gesellschaft; darum fordert er die Vereinigung mit Polen, weil er in 
ihr die Bedingung freiheitlicher Entwicklung für alle dasselbe bildenden 
Völker sieht. Erhabenster Herr! Die Lage unseres Landes ist äußerst traurig, 
das Volk ohne Aufklärung, die Unterrichtsanstalten mittelmäßig, unzu- 
reichend, sowohl hinsichtlich der Zabl als des Unterrichts; das Gewerbe 
ohne Kapitalien, vom Wucher gedrückt; der Getreidehandel abgeschnitten 
vom ausländischen Markt wegen mangelnder Communicationsmittel; das 
Grundeigenthum ohne Credit in Folge mangelhafter Institutionen und eines 
schlechten Hypothekensystems; gesetzliche Einrichtungen, die den Sitten wider- 
sprechen, der Tradition, dem Begriffsvermögen der Gesellschaft fremd sind, 
Ausführung der Gesetze durch eine dem Lande fremde Bureaukratie, eine 
ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen des Landes concentrirte 
Verwaltung, endlich eine Gesellschaft ohne aus ihrer Mitte hervorgegangene 
Organe zur Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten — solch ein Zustand, 
der aus unserer Trennung von dem Königreich Polen entspringt, erschwert 
die Lösung der Bauernfrage, und bedroht die Provinz mit dem vollständigsten 
Ruin, wenn nicht die Herstellung der administrativen Einheit mit einem 
Land erfolgt, das mit uns gleiche Traditionen und Bedürfnisse, dieselben 
Begriffe von bürgerlicher und religiöser Freiheit und gemeinsame Wege des 
Hioricchrius in die Zukunft hat. Indem der Adel Podoliens Ew. Mojestät 
eine wesentlichsten Wünsche darlegt, baut derselbe auf die Gefühle der- 
kaiserlichen Gerechtigkeit und Liebe, als die einzige Hoffnung, unsere jetzigen 
Leiden zu enden und uns ein besseres Loos für die Zukunft zu sichern.“ 
2. Oct. Der Kaiser schickt den Grafen Andreas Zamoyski für 3 Jahre auf 
4. "„ 
10., 
* 
Reisen ins Ausland. 
Da die Adelsversammlung Podoliens trotz aller Vorstellungen 
7P0 Gonverneurs auf ihrer Adresse beharrt, so wird dieselbe vom Gouverneur 
aufgelöst. 
Kaiserl. Ukas über die Grundprincien einer neuen Gerichts- 
organisation für Rußland. 
Nach diesem Ukas, der in seiner Bedeutung für die innere politische Ent- 
wicklung Rußlands der Emancipation der Leibeigenen im J. 1861 an die 
Seite gestellt werden kann, steht in Zukunft die richterliche Gewalt zu: den 
Friedensrichtern, der Versammlung der Friedensrichter, den Bezirksgerichten, 
den Gerichtshöfen und dem dirigirenden Senat, und zwar so, daß die 
Untersuchung der Klagsache, die Prüfung derselben ihrem Wesen nach, und 
die Aburtheilung derselben allen genannten Instanzen zusteht, mit Ausnahme 
des Senats, der nur als Cassationshof auftritt und entscheidet, ob bei dem 
Gerichtsverfahren der strenge Lauf der Gesetze innegehalten worden ist. 
Der Wirkungskreis der Friedensrichter, ihrer Versammlungen, der Bezirks- 
gerichte und Gerichtshöfe wird auf bestimmte Bezirke zurückgeführt, bei deren 
Feststellung die Zahl der Bevölkerung, der Flächenraum und die vorhandenen 
Communicationsmittel näher erwogen werden. Der Senat behält seinen 
Sitz wie bisher in St. Petersburg. Da die Friedensrichter außer ihren 
richterlichen Functionen noch die Pflichten als Vormünder und stellvertretende 
Notare, an Orten, wo diese nicht vorhanden sein sollten, zu erfüllen haben, 
so ist in ihre Hand sehr viel gelegt. Die Bezirksgerichte haben Civil= und 
Kriminalsachen aller Stände zu entscheiden. Präsident und Glieder des 
Gerichts werden von dem Justizminister vorgeschlagen und allerhöchst be- 
stätigt. Die Geschwornen werden aus den von den Gouverneuren mit den 
Ortsvorständen vereinbarten allgemeinen Geschwornenlisten nach einer ge- 
wissen Reihenfolge gemäß den darüber gegebenen Bestimmungen gewählt. 
Die Gerichtshöfe zerfallen in Departements, deren Präsidenten und Glieder 
auf des Ministers Vorschlag allerhöchst ernannt werden. Der allgemeinen
	        
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