Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Deutschland. 37 
über das Heimathswesen, den Militär-Conventionen, vor Allem in dem 
Zollverein. So sehr nun auch dergleichen Einzelverträge eine Gemein- 
samkeit staatlicher Interessen begründen und Preußen in materieller Hinsicht 
für andere Staaten unentbehrlich machen mögen, so zeigt doch schon das 
Beispiel des Zollvereins, daß auf diesem Wege allein selbst durch große 
materielle Opfer Preußens wesentliche politische Erfolge nicht zu erreichen 
sind. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß in solchen Dingen durch 
einen Druck auf fremde Bedürfnisse und durch Sprödigkeit gegen fremde 
Ansprüche bedeutendere Resultate erzielt werden können, und hoff entlich 
beim Ablauf der Zollvereinsverträge werden erzielt werden. Indessen zu ei- 
ner wirklichen bundesstaatlichen Organisation werden Vereinbarungen dieser 
Art niemals führen. Unter den Vereinbarungen, welche sie empfiehlt, ver- 
steht die Commission vorzugsweise solche, welche direct auf die Herstellung 
eines Bundesstaates gerichtet sind. Auch für diese mag man sich gegen un- 
befugte Einsprüche auf Artikel 11 der Bundesacte oder Artikel 6 der Schluß- 
acte berufen. Die Commission glaubte jedoch in der vorzuschlagenden Reso- 
lution selbst weder auf diese Bestimmungen, noch auf die bisherigen Verein- 
barungen der k. Regierung hinweisen zu dürfen, weil sie doch zur Erreichung 
des vollen Zieles nicht genügen. Die Reorganisation Deutschlands muß 
nicht auf einen Artikel der Bundesverträge, sondern auf das na- 
tionale Bedürfniß und die nationale Berechtigung gestützt 
werden. Die Nothwendigkeit rechtfertigt auch die Abweichung von der 
Bundesacte. 
„Die Commission ist sich vollkommen bewußt, daß die Politik, welche sie 
befürwortet, von einer theoretischen Construction ausgeht, und eine Wieder- 
aufnahme der Unionspolitik von 1849 involvirt. Allein die Möglichkeit 
und das Wünschenswerthe einer solchen bundesstaatlichen Construction hat 
die k. Staatsregierung bereits selbst in der Note vom 20. Dec. 1861 aus- 
geführt. Und die Unionspolitik ist im Jahre 1850 nicht an der unabän- 
derlichen Natur der Dinge, sondern nur daran gescheitert, daß die dama- 
lige Regierung die angestrebten Zwecke nur mit halbem Herzen, ohne Ener- 
gie, im alleinigen Vertrauen auf den guten Willen widerstrebender Regie- 
rungen verfolgte, wie andererseits das Frankfurter Parlament an dem Man- 
gel wirklicher Machtmittel gescheitert war. Seitdem ist die Erkenntniß der 
wahren staatlichen Bedürfnisse und Interessen, das Gefühl der Nothwendig- 
keit sowohl der Zwecke wie der Mittel überall gewachsen. Es ist nicht zu 
fürchten, daß Preußen abermals zu einer Umkehr und einem Aufgeben sei- 
ner Politik genöthigt werden könnte, wenn es dieselbe mit ernstem Willen 
und rückhaltloser Energie verfolgt, gestützt auf die nationalen Interessen des 
deutschen Volkes und derjenigen Regierungen, welche sich der Würdigung 
derselben nicht verschließen."“ 
„Ohne Zweifel wird das Ziel nicht in einer nächsten Zukunft, nicht auf 
einmal in seinem ganzen Umfange erreicht werden. Auch die vollste und 
allgemeinste Ueberzeugung von der Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Ver- 
fassungszustände hat von 1815 bis 1862 zu keinen positiven Neugestaltun- 
gen geführt. Der Widerstand mächtiger historischer Verhältnisse wird sich 
nur unter außergewöhnlichen Umständen überwinden lassen. Von verschie- 
denen Seiten her wird deshalb auf Ereignisse speculirt, welche die wider- 
strebenden Souveränitäten hinwegfegen sollen, sei es von Innen oder von 
Außen. Im vorigen Jahre ist in dem hohen Hause geäußert worden: nur 
in der äußersten Noth Preußens und Deutschlands wird es zur Einigung 
kommen, aber wir müssen mit Entschiedenheit sagen, was wir wollen, wenn 
dieser Fall eintritt. Dem Andrängen der gegnerischen Regierungen gegen- 
über erscheint es mehr als je geboten, offen und klar das Ziel auszusprechen, 
welchem die Entwicklung der Geschichte und die Nothwendigkeit der Dinge 
entgegenstrebt. Deutschland muß wissen, daß Preußen bereit
	        
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