Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1862. 421
men. Graf Schwerin führte den Vorsitz. Alle waren einig, daß dem preußer.
Uebergriffe des Herrenhauses eine energische Resolution entgegen gestellt
werden müsse; doch konnte man sich über den Wortlaut noch nicht einigen,
bis der Beschluß des Herrenhauses selbst vorliege. Am Abend erst wurde
er dem Präsidenten des Abg.-Hauses übermittelt, zugleich mit der An-
zeige, daß dem Hause eine kgl. Betschaft werde verkündet werden. Es
konnte nicht zweifelhaft sein, daß eine Vertagung beschlossen war, um je-
dem weiteren Schritte des Abg.-Hauses vorzubeugen und die Session mit
den sich entgegenstehenden Beschlüssen beider Häuser zu schließen. Sofort
wurde eine Sitzung des Abg.-Hauses auf den folgenden Tag früh ange-
ordnet. Schnell einigte man sich von allen Seiten zu der Erklärung, daß
der Beschluß des Herrenhauses verfassungswidrig null und nichtig sei und
daß die Regierung daraus keinerlei Rechte herleiten könne. Kaum war
der einstimmige Beschluß — die Feudalen hatten sich vor der Abstimmung
entfernt — gefaßt, so traten die Minister ein und verkündeten die Ver-
tagung.
Das Land stand in seiner großen Mehrheit zu seinen Vertretern.
Nur die feudale Partei war für die Regierung, eine kleine Partei; aber
eng geschlossen unternahm sie es doch, ihre Anschauung als die wahre
öffentliche Meinung darzustellen und zugleich den König in seinem Wider=
stande gegen die Begehren der Volksvertretung zu stützen. Der von ihr
gegründete und geleitete sogenannte Preußische Volksverein bemühte sich,
mit allen Mitteln in den verschiedenen Theilen des Landes Loyalitäts-
adressen an den König zu Stande zu bringen, die ihm durch Deputatlo-
nen, in denen Bauern und Handwerker nicht fehlen durften, überreicht
wurden. Es war natürlich, daß sie der König mit Befriedigung und 7#
aufs gnädigste empfing. In den Ideen absoluter Herrschaft aufgewachsen
und von Anhängern derselben Anschauung umgeben, seit seiner Jugend
und mit Vorliebe Militär, an der Armeeorganisation als an seiner ei-
genen persönlichen Schöpfung festhaltend, glaubte er sich durch die Ver-
fassung, wie er sie verstand, zu der von seiner Regierung der Volksver-
tretung gegenüber eingenommenen Stellung für durchaus berechtigt und:
sah in den Angriffen auf sein Werk, durch das er nur das wahre Wohl
des Staates zu sichern meinte, blos bösen Willen und hinter dem Abg.=
Hause und theilweise schon darin die überfluthende Demokratie, die dro-
hende Revolution. Noch hoffte er indeß auf einen Umschwung der öffent-
lichen Meinung und fand in den feudalen Loyalitätsdeputationen wenigstens