Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

422 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1862. 
Preußen, einen Anfang dazu, sobald nur den Umtrieben der Uebeldenkenden Schran- 
ken gesetzt würden. Dazu gehörte aber nicht blos die Presse, sondern na- 
mentlich auch viele, zum Theil hohe Beamtete. Beiden mußte entgegen- 
gewirkt werden und Hr. v. Bismark, ohne viele Bedenklichkeiten und ohne 
große Vorsicht, geistreich und zuversichtlich, unternahm es, die Zügel der 
Regierung straffer anzuziehen. Sofort wurden die Maßregeln gegen beide 
ins Werk gesetzt. Einige derjenigen Beamteten, die sich als Abgeordnete 
in der Opposition besonders hervorgethan, wurden theils in Disponibilität 
gesetzt, theils versetzt, die Oppositionspresse sollte durch tägliche Beschlag- 
nehmungen eingeschüchtert werden. Beide Maßregeln zeigten sich als 
durchaus unzureichend. Die Presse ließ sich nicht einschüchtern: der Maß- 
regelung der Beamteten setzte die Volkspartei die Gründung einer Volks- 
kasse entgegen, aus der sie entschädigt werden sollten. Die Polizei suchte 
diese Sammlungen in jeder Weise zu hindern: das Urtheil der Gerichte 
fiel jedoch wiederholt gegen die Wünsche der Regierung aus. In meh- 
reren der größten Städte der Monarchie fanden Wahlen zur Gemeinde- 
vertretung, in mehreren Kreisen Nachwahlen zum Abg.-Hause statt; das 
Resultat war überall ein der Regierung durchaus ungünstiges. Die 
öffentliche Meinung erschien fest und zugleich ruhig; nirgends erfolgten 
Ausschreitungen, nirgends Ueberstürzungen. Die Regierung mußte er- 
kennen, daß sie einer entschlossenen Strömung der Volksentwicklung gegen- 
über stand. Dennoch beharrte sie auf dem einmal eingenommenen Stand- 
punkte, sei es, daß sie von der Zeit eine Besserung ihrer Lage 
erwartete, sei, es, daß Hr. v. Bismark sich der Hoffnung hingab, die eu- 
ropäischen Verhältnisse könnten irgend welche Verwicklungen herbeiführen, 
durch die der nächste Gegenstand des Zerwürfnisses bei Seite gedrängt 
werden und die ganze Sachlage eine Wendung nehmen würde. 
Rußland. Eine andere, Stellung zu den Bedürfnissen und Bestrebungen der- 
— 
Zeit, als die Regierung von Preußen, hatte inzwischen selbst die Negie- 
rung von Rußland eingenommen und beharrte dabei trotz der gewaltigen 
Schwierigkeiten, welche sich ihr sowohl in Rußland als in Polen entgegen 
thürmten. Durch den großen Schritt, den der Kaiser im Jahr 1861, 
mit der Emancgipation der Leibeigenen gethan hatte und die das Reich 
auf eine ganz neue Grundlage stellen mußte, war das ganze bisherige 
Regierungssystem in Frage gestellt und eine allgemeine Unruhe, eine tiefe 
Bewegung ergriff die verschiedensten Klassen des Volkes. Die entgegen- 
gesetztesten Wünsche suchten sich geltend zu mächen. Ein Theil des Adels
	        
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