424 Uebersicht der Ereignisse des Hahres 1862.
Rußlanr. burg gelebt hatte, Felinski, zum Erzbischof von Warschau ernannt: die
Kirchen öffneten sich den Gläubigen wieder. Die Verständigung mit
Rom gerieth jedoch. bald ins Stocken und der neue Erzbischof. von Wait
schau vermochte nur einen sehr bedingten Einfluß auszuüben. Inzwischen
war Wielopölski nach St. Petersburg beschieden worden, und drang ent-
schieden darauf, daß Rußland auf der im vorigen Jahre betretenen Bahn
verharre und auf derselben weiter vorgehe. Er war i. J. 1831 Gesandter
der revolutionären polnischen Regierungi in England gewesen, hatte sich nach-
her, in sein Vaterland zurückgekehrt, der Russischen Regierung genähert
und bekannte sich jetzt zurder Ueberzeugung, daß Polen zwar seiner ei-
genen nationalen Entwicklung unter dem Schutze freier Institutionen zu-
rückgegeben werden müsse, aber in engem Anlehnen an das stammver=
wandte Nußland und unter derselben Dynastie mit diesem vereint. Nach
langem Bemühen gelang es ihm endlich, mit seinen Idten in St. Peters-
burg durchzudringen. Im. Juni ernannte der Kaiser seinen Bruder, den
Großfürsten Konstantin zu seinem Statthalter in Polen und stellte ihm
den Grafen Wielopolski als Chef der Civilverwaltung zur Seite. Die
Reformen wurden jetzt mit Entschiedenheit wieder ausgenommen. An die
Spitze der Gouvernementsverwaltung wurden ausschließlich geborene Polen
gestellt, das Unterrichtswesen in nationalem Sinne umgestaltet, die Uni-
versität Warschau vervollständigt, die Beschränkungen der!] Juden fast
gänzlich aufgehoben, die Einrichtung von gewählten Munieipal-, Kreis-
und Gubernialräthen wirklich zur Ausführung gebracht. Man konnte
sagen, daß Polen sich zwar nicht selbst regiere, aber doch mehr und mehr
selbst rerwalte. Die Masse der Bevölkerung ging indeß auf die Intentionen
der Russischen Regierung nicht ein. Wenige Tage bevor der Großfürst
in Warschau eintraf, wurde ein Attentat auf seinen Votgänger den Ge-
neral Lüders ausgeführt, sofort nach seiner Ankunft'wein solches auf den
Großfürsten selbst und balb daräuf auch auf den Grafen Wielopolski ver-
sucht. Die Menge beharrte in ihtem passiven Widerstande und fuhr fort,
die verbotenen Lieder zu singen. Der Adel richtete Unter der Leitung
des Grafen Andreas Zamoyski eine Adresse an den Großfürsten, in der
nicht blos eine nationale Verwaltung, sondern auch eine nationale Ver-
tretung verlangt wurde. Selbst nach Rußland hinein griff die Bewe-
gung: in Podolien und in Litthauen beschloß der Adel, in einer Adresse
den Kaiser um Wiedervereinigung mit Polen zu bitten. Auf die Bauern
konnte sich zwar die Regierung ziemlich verlassen, aber die Städte beher-