Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

Urbersicht der Ertignisse des Jahrts 1862. 427 
entwurf behufs Bildung von Nationalgarden vorlegen ließ. Die Bewegunge#nece 
schien sich zu legen und der König unternahm eine Rundreise im Pelo- 
ponnes. Da brach die, ohne Zweifel längst vorbereitete, Verschwörung 
zuerst in Vonizza, dann it Patras, am 221 October in Athen selbst aus: 
Ges wurde eine provisorische Regierung gebildet, deren erster Akt es war, 
die Thronentsetzung des Königs Otto auszusprechen. Auf die erste Nach- 
richt wollte der König aus Kalamata an der Südspitze des Pelopenneses 
nach Athen zurück eilen. Im Piräus erfuhr er das Vorgefallene: die 
Gesandten riethen ihm ab, irgend einen Versuch zum Widerstand zu 
machen. Er ging nach Salamis, wo er durch neue Berrichte sich von 
der allgemeinen Stimmung und von der augenblicklichen Nutzlosigkeit 
eines Versuchs, sich dem Strem entgegen zu stemmen, überzeugte. Da 
entschloß er sich, in sein Vaterland Bayern zurückzukehren, kündigte seinen 
Entschluß den Helleuen durch eine letzte Proclamalion an und verließ das 
griechische Schiff, das sofort die revolutionäre Flagge aufzog. Ein eng- 
lisches Kriegsschiff führte ihn nach Triest. 
Die Welt erwartete einen sofortigen Losbruch der Griechen über 
die türkische Gränze. Die ganze Umwälzung hatte sonst ganz und gar 
keinen Sinn. In den Erlassen der neuen Behörden, in den Organen 
der neuen. Ordnung der Dinge war zwar viel von der Mißtegierung 
des entthronten Königs, von Fremdherrschaft, von Verletzung der Ver- 
fassung und dgl. die Rede; in Wahrheit waren alle diese Anklagen unbe- 
gründet. Was die Griechen Anderes wollten, war nicht zweifelhaft; 
allein mit dem Momente, da ihren Wünschen kein König mehr im Wege 
zu stehen schien, erkannten sie auch die Unzulänglichkeit ihrer Mittel zu 
der Größe ihrer Intentionen und suchten nach einer Stütze. Da wandten 
ihre in London angesessenen Landsleute ihre Blicke auf den englischen 
Prinzen Alfred und der Gedanke zündete in dem leichtbeweglichen Volke, 
obgleich gerade England seinen Wünschen bisher am allermeisten im Wege 
gestanden und bei früheren Conflicten den jungen Staat rücksichtslos ge- 
radezu mißhandelt hatte. Inzwischen hatte die vollendete Thatsache auch 
die europäischen Kabinette in Bewegung gesetzt. Das Feld war offen für 
neue Combinationen; für die endliche Lösung der orientalischen Frage 
konnte der Thron von Griechenland unter Umständen entscheidend sein. 
Schon sprach man in St. Petersburg und in Paris von dem Herzog 
v. Leuchtenberg. Da ergriff England schnell die nicht gesuchte Candidatur 
des Prinzen Alfred, um jene andere, die seinem Interesse durchaus wider-
	        
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