Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dritter Jahrgang. 1862. (3)

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Deutschland. 
die Zugeständnisse des Zollvereins an Frankreich nicht auf die Erzeugnisse 
dieses Landes zu beschränken, sondern auf die Erzeugnisse aller Länder aus- 
zudehnen seien. Es ist daher richtig, daß Oesterreich diese Zugeständnisse, 
auf deren Genuß ihm ein vertragsmäßiger Anspruch zusteht, nicht bloß mit 
Frankreich, sondern mit allen anderen Ländern zu theilen haben wird. Ich 
schmeichle mir indessen, daß die kais. Regierung aus einer näheren Prüfung 
der von uns an Frankreich gemachten Zugeständnisse die Ueberzeugung ge- 
winnen wird, daß dieselben dem Handel und dem Gewerbfleiß Oesterreichs 
sehr große Vortheile versprechen, obgleich sie beiden nicht ausschließlich zu 
Gute kommen. — Bei den Verhandlungen, welche im Jahre 1858 zwischen 
dem Zollverein und Oesterreich gepflogen wurden, legte die kais. Regierung 
auf zwei von ihr gestellte Forderungen ein geradezu entscheidendes Gewicht, 
nämlich auf die Aufhebung der Durchgangszölle und der die Stelle dieser 
Zölle vertretenden Ausgangsabgaben und auf eine Einfuhrerleichterung für 
Wein. Die erste dieser Forderungen ist, wie die Denkschrift nicht uner- 
wähnt gelassen hat, bereits seit einem Jahre erfüllt; die zweite wird, wenn 
auch nicht ganz in dem begehrten Umfange, durch den vorliegenden Vertrag 
erfüllt werden. Von den übrigen auf Zollermäßigung gerichteten Proposi- 
tionen, welche Oesterreich für jene Verhandlungen gestellt hatte, wird ein 
großer Theil ebenfalls durch den Vertrag ihre Erledigung finden, und zwar 
mehrfach in einem über die gestellten Anträge weit hinausgehenden Umfange. 
Als nicht minder werthvoll werden sich die Zollerleichterungen für einige 
andere Waaren wie etc. erweisen. Wir glauben, darauf zählen zu dürfen, daß 
die kais. Regierung diese Vortheile nicht unerwogen lassen wird, wenn sie 
zu der Entscheidung der Frage schreitet, ob sie von dem nach Art. 4 des 
Vertrags vom 19. Febrnar 1853 ihr zustehenden Rechte Gebrauch zu machen 
habe. — Von diesen Gesichtspunkten aus ist, nach unserer Ansicht, auch die 
Wirkung der im Artikel 31 des Handelsvertrages gegenseitig zugesagten 
Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation aufzufassen. In 
dem Maaße, in welchem die Sätze des allgemeinen Zolltarifs dem Betrage 
entsprechen, welcher durch wirthschaftliche und finanzielle Rücksichten unbe- 
dingt geboten ist, verliert ein Differential-Zollsystem seine nothwendige 
Voraussetzung und seine praktische Bedeutung, denn seine Voraussetzung 
beruht darauf, daß die Sätze des allgemeinen Tarifs ohne Aufopferung er- 
heblicher wirthschaftlicher oder finanzieller Interessen ermäßigt werden kön- 
nen, und seine Bedeutung beruht in der Größe der Differenz zwischen dem 
allgemeinen und dem ermäßigten Zollsatze. Frankreich mit seinem prohibi- 
tiven allgemeinen Tarif, der Zollverein und Oesterreich mit ihren gegen- 
wärtig hohen Tarifen können ein solches System durchführen; seine unbe- 
dingte Aufrechthaltung aber würde mit einer Verzichtleistung auf durch- 
greifende Reformen dieser Tarife gleichbedeutend sein. — Die Gründe end- 
lich, aus welchen der Vertrag, die Fortdauer des Zollvereins vorausgesetzt, 
sich über das Jahr 1865 hinauserstreckt, werden der kais. Regierung bei 
Prüfung der Anlage B. des Vertrages nicht entgehen. Eine Verabredung, 
wie solche im Art. 32 enthalten ist, hatte schon in dem ersten Stadium der 
Verhandlungen die Zustimmung unserer Zollverbündeten gefunden, sie wurde 
aber unabweislich, als wir, und zwar wesentlich mit Rücksicht auf unser 
Verhältniß zu Oesterreich, die Verschiebung der weiteren Zollermäßigung für 
eine Reihe der wichtigsten Gegenstände bis auf den 1. Januar 1866 von 
Frankreich in Anspruch nahmen und erlangten. — Ich hege die Zu- 
versicht, daß die kais. Regierung bei vollständiger Kenntniß der getroffenen 
Verabredungen und bei eingehender Würdigung unserer Motive mit uns an- 
erkennen wird, daß die vorliegenden Verträge ein unabweislicher Schritt 
wirthschaftlicher Reform sind, welchen der Zollverein zum großen Schaden 
seiner wichtigsten Interessen vielleicht um einige Zeit hätte ver schieben, welchem 
er sich aber nimmermehr ganz würde haben entziehen können.“
	        
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