Preußen und der norddeutsche Vund. 105
dieser Versammlung nicht vorhanden gewesen, unter Anderm: a) weil der
Versammlung von dem Papste im Widerspruche mit der Praxis der frühern
Concilien eine die Freiheit hemmende Geschäftsordnung arferlegt, trotz Pro-
testes einer großen Anzahl von Bischöfen belassen und nachher wiederum ohne
Zustimmung der Versammlung modificirt und gegen den abermaligen Protest
aufrechterhalten wurde; b) weil in einer erst zu entscheidenden und den Papst
persönlich betreffenden Lehre durch die mannigfaltigsten, dem Papste zu Ge-
bote stehenden Mittel ein moralischer Druck auf die Mitglieder ausgeübt wor-
den ist. 3) Wenn bisher stets in der Kirche als Regel gegolten, daß nur das
immer, überall und von Allen Bekannte Glaubenssatz der Kirche sein könne,
so ist man auf der vaticanischen Versammlung von diesem Grundsatze abge-
wichen. Der bloße Bruchtheil einer Bischofsversammlung hat gegen den be-
harrlichen und noch zuletzt schriftlich erneuerten Widerspruch einer durch ihre
Zahl sowohl, als durch die Dignität und den Umfang ihrer Kirchen überaus
gewichtigen Minderheit eine Lehre zum Dogma erhoben, von der es notorisch
und evident ist, daß ihr von den drei Bedingungen keine, weder das Immer,
noch das Ueberall, noch das von Allen, zukomme. In diesem Vorgange liegt
die thatsächliche Anwendung des völlig neuen Satzes: daß als göttlich geoffen-
barte Lehre eine Meinung erklärt werden könne, deren Gegentheil bis dahin
frei gelehrt und in vielen Discesen geglaubt wurde. 4) Indem das dritte
Capitel gerade die ordentliche Regierungsgewalt in den einzelnen Kirchenspren-
geln, welche nach katholischer Lehre den Bischöfen zukommt, auf den Papst
überträgt, wird die Natur und Wesenheit des Episcopats als göttlicher, in
dem Apostolat gegebener Institution und als integrirenden Bestandtheils der
Kirche alterirt, beziehungsweise völlig zerstört. 5) Durch die Erklärung, daß
alle an die ganze Kirche gerichteten doctrinellen Aussprüche der Päpste unfehl-
bar seien, werden auch jene kirchenpolitischen Sätze und Aussprüche älterer und
neuerer päpstlicher Erlasse für unfehlbare Glaubensnormen erklärt, welche die
Unterwerfung der Staaten, Völker und Fürsten unter die Gewalt der Päpfle
auch in weltlichen Dingen lehren, welche über Duldung Andersgläubiger und
Standesrechte des Clerus Grundsätze ausstellen, die der heutigen Ordnung der
Gesellschaft widersprechen. Hiermit wird das friedliche Einvernehmen zwischen
Kirche und Staat, zwischen Clerus und Laien, zwischen Katholiken und Anders-
gläubigen für die Zukunft ausgeschlossen. Angesichts der Verwirrung, welche
durch diese neuen Lehren in der Kirche jetzt schon eingetreten ist und sich in
der Zukunft voraussichtlich nech steigern wird, setzen wir in jene Bischöfe,
welche diesen Lehren entgegengetreten sind und durch ihre Haltung auf der
Versammlung den Dank der kathol. Welt verdient haben, das Vertrauen
und richten zugleich an sie die Bitte: daß sie in gerechter Würdigung der
Noth der Kirche und der Bedrängniß der Gewissen auf das baldige Zustande-
kommen eines wahren, freien und daher nicht in Italien, sondern diesseits der
Alpen abzuhaltenden öcumenischen Concils mit den ihnen zu Gebote stehenden
Mitteln hinwirken mögen.“ Als Theilnehmer der Versammlung werden ge-
nannt: v. Döllinger, Professor zu München; Reinkens, Professor der Kirchen-
geschichte zu Breslau; Dittrich, Professor der Moraltheologie zu Braunsberg;
Michelis, Professor der Philosophie zu Braunsberg; Knoodt, Professor der
Philosophie zu Bonn; Mayer, Professor der Theologie zu Prag; Löwe, Pro-
sessor der Philosophie zu Prag; Friedrich, Professor der Theologie zu Mün-
chen; Weber, Privat-Docent der Philosophie zu Breslau; Balhzer, Professor
der Dogmatik zu Breslau; v. Schulte, Professor des canonischen Rechtes zu
Prag, ferner die Professoren der Theologie Reischl zu München und Langen
und Reusch zu Bonn.
Die Erklärung findet in kurzer Zeit einige dreißig Unterschriften, soll je-
doch nicht sofort veröffentlicht werden.
26. Aug. (Der Krieg). Die deutschen Armeen sind in rascher